Die Lange Dämmerung

– IV –

Kein Gott in der Maschine

„I have seen the science I worshiped and the aircraft I loved, destroying the civilization that I expected them to serve.”
Charles Lindbergh

Auf dem Gipfel eines Berges stehen ist großartig. Dieser Ausblick! Diese Luft! Diese kühle und dünnere Luft, die mit sinkender Sonne immer kälter wird und die einem klarmacht, daß man sich jetzt besser in Bewegung setzen sollte, möchte man sich nicht sehr bald den Hintern abfrieren.
Also begibt man sich irgendwann wieder an den Abstieg. Nachdem man ausgiebig das Panorama genossen und ein wenig Rast gemacht hat natürlich, denn wozu wäre man schließlich sonst auf den verdammten Berg geklettert?
Was aber völlig egal ist, ist die Himmelsrichtung, die man einschlägt. Denn jedem sollte klar sein, daß es von diesem Punkt aus abwärts geht, wie das Wort Abstieg auch schon leise andeutet. Vom Gipel eines Berges aus gibt es einfach keine andere logische Möglichkeit.

Keine Zivilisation auf der Erde hat einen so gewaltigen Aufstieg hinter sich wie unsere, die technologische globale Zivilisation des beginnenden 21. Jahrhundert ndZ. Das Zeitalter des Anthropozän, also das Zeitalter des Menschen, wird nicht nur so benannt, weil Mensch dieses Zeitalter quasi beherrscht. Die Wissenschaftler, die diese Bezeichnung ins Spiel bringen, sind Geologen und Paläontologen, also der Typ Nerd, der es gewohnt ist, mit sehr großen Zeiträumen umzugehen. Wir reden hier nicht von einer Woche oder einem Jahrhundert. Die Bezeichnung Anthropozän beruht vor allem darauf, daß die Folgen der Anwendung unserer Technologie inzwischen Spuren hinterlassen haben, die noch Jahrtausende lang zu sehen, zu spüren und zu messen sein werden. Seit etwa sechs oder sieben Dekaden setzen wir mehr und mehr Chemikalien und chemische Verbindungen frei, die in dieser Form natürlicherweise nicht vorkommen. Die Trümmer unserer angewandten Wissenschaften überziehen den Planeten inzwischen lückenlos. Das reicht von den Resten der auf Felder gespühten Pestizide oder Herbizide bis hin zu den strahlenden und überaus tödlichen Hinterlassenschaften der Kernspaltung, mit denen wir immer noch nicht wirklich etwas anzufangen wissen. Aller Wahrscheinlichkeit werden wir das auch nie, denn trotz allem müssen sich auch und gerade menschliche Wissenschaften an die Naturgesetze halten. Ein Punkt, der von den Anhängern des Technologie-Glaubens gerne zur Seite geschoben wird. Wie alles andere ist auch technologischer Fortschritt nicht endlos, weder in seinen Möglichkeiten noch seiner Geschwindigkeit, und er unterliegt ebenfalls dem gnadenlosen Gesetz des Abnehmenden Ertrages. Continue reading →

Die Lange Dämmerung

– III –

Weltenfresser

„Die Menschen müssen begreifen, daß sie das gefährlichste Ungeziefer sind, das je die Erde bevölkert hat.”
Friedensreich Hundertwasser

Auf der einen Seite ist unsere Zivilisation nichts Besonderes auf diesem Planeten, es ist nicht so, als hätte es vor uns noch nie eine gegeben.
Auf der anderen Seite ist es sie es aber doch. Ich behaupte sogar, daß unsere Zivilisation etwas völlig Einzigartiges ist, also so besonders, wie nur etwas sein kann.
Wie ist das möglich?”,  fragt sich vielleicht jemand. Hatte ich nicht extra betont, daß wir eben keine Sonderstellung einnehmen, daß eben für uns dieselben Regeln gelten wie für andere Zivilisationen vor uns?

Wie auch in so vielen anderen Aspekten des 21. Jahrhunderts ergibt sich hier ein Paradoxon, ein „sowohl, als auch”.
Noch niemals hat Mensch eine Kopfstärke von aktuell 7,3 Milliarden Menschen hervorgebracht. Gerade ein Herr Malthus hätte so etwas für vollkommen absurd gehalten, denn nach seinen Erkenntnissen hätte uns auf dem Weg zu dieser Masse Mensch schon längst die Nahrung ausgehen müssen. Was jedoch nicht bedeutet, daß Malthus falschgelegen hätte.
Wir sind in Bereiche vorgedrungen, die einigen unserer Vorfahren des 19. Jahrhunderts etwa so magisch erscheinen dürften wie der Elektrik-Trick einem Mann namens Catweazle. Es gibt Bereiche heutiger Technologie, die mir allmählich wie Magie erscheinen und ich lebe hier und jetzt und habe die Entwicklungen mitverfolgt, soweit mir das möglich ist.

Aus Röntgenstrahlen mit verwaschenen Bildern sind dreidimensionale Bildgeber in Farbe geworden, aus knatternden Kisten aus Sperrholz und Spanndraht Jetliner, die jeden Tag global mehrere hunderttausend Flugbewegungen abwickeln und ebenso Millionen Menschen bewegen.
Mechanisch verschaltete Zahnraddingsbumse eines Herrn Babbage oder eines Konrad Zuse haben sich mit Erfindung des Mikrochips in eine Technologie verwandelt, die in den 70er Jahren Computer hervorbrachte, die so groß waren wie Schukartons statt so groß wie ein Wohnzimmer. Jetzt, ein knappes halbes Jahrhundert später, steuern die Dinger den ganzen Planeten.
Verkehrsüberwachung, Luftraumüberwachung, Börsenkalkulationen, Handelsabwicklung über den Globus, Kommunikation – nichts geht mehr ohne ein Heer aus digitalen Helferlein ab. Informationsverwaltung hat die Form eines globalen Computernetzwerks angenommen, in dem ich die Dinge veröffentlichen kann, die ich schreibe. Im „Wilden Westen” des mittigen 19. Jahrhunderts wäre das eine wöchentliche Kolummne in einer eigenverlegten Zeitung gewesen. Gegen das Internet sieht selbst die Bibliothek von Alexandria ziemlich schlapp aus.
Satelliten schwirren in zunehmender Zahl über unseren Köpfen und beobachten jeden Aspekt unserer nahen und fernen Umgebung, von der Aktivität der Sonnenoberfläche bis zum Verhalten des arktischen und antarktischen Eises. Continue reading →

ID: Mensch 3.674.766.677

„Der Mensch bringt sogar die Wüsten zum Blühen. Die einzige Wüste, die ihm noch Widerstand
leistet, befindet sich in seinem Kopf.”
Ephraim Kishon

Ich hatte hier bereits einmal angedeutet, daß das Problem der Überbevölkerung des Planeten Erde in Wirklichkeit gar nicht so groß ist, wie viele Menschen immer gerne annehmen. Nun, natürlich ist das ganze ein Problem, denn zweifellos wird die Bevölkerung der Erde in den nächsten Jahrzehnten weiterhin zunehmen. Also, an Kopfzahl, nicht wie ich an Gewicht. Aber diese Tatsache ist nicht das Hauptproblem, dem sich Mensch in weiteren Verlauf des 21. Jahrhunderts gegenübersieht.

Für mich ist das aktuelle Jahr, nach einem recht weit verbreiteten Kalender das Jahr 2015, ein etwas besonderes Jahr. Denn die derzeitige Weltbevölkerung besteht aus ungefähr 7.322.430.400 Exemplaren des Homo sapiens.
Meine quasi ganz persönliche Zahl ist 3.674.766.677. Solche Spielereien kann man übrigens hier nachschlagen.
Mit ein wenig Berechnung läßt sich feststellen, daß in etwa 121 Tagen, am
16. Oktober des Jahres 2015, die Weltbevölkerung exakt doppelt so groß sein wird wie am Tag meiner Geburt. Schon viermal hat die Masse Mensch eine weitere Milliarde hinter sich gelassen, seitdem ich selber Teil dieser Masse geworden bin. Da sage noch einer, man kann die Zukunft nicht vorhersagen.

Bereits 1798 ndZ erschien ein in dieser Hinsicht durchaus wichtiges Werk, nämlich Essay on the Principle of Population, geschrieben von einem gewissen Thomas Malthus.
Der Mann war nicht etwa Evolutionsbiologe, denn die Evolution war noch nicht erfunden. Er war Ökonom, also Wirtschaftswissenschaftler. Aber das war zu einer anderen Zeit, deshalb schreibe ich den Herrn nicht in Anführungszeichen.
Malthus’ Essay läßt sich recht kurz und bündig zusammenfassen: Menschliche Bevölkerung wächst exponentiell, die Erträge des Ackerbaus aber nicht. Zwar ließe sich, so Malthus, der Ertrag von Ackerflächen durch Bewässerung um etwa 20% steigern, aber dieser Zuwachs erzeuge dann wiederum keinen weiteren Zuwachs. Irgendwann muß also, rein logisch fortgesetzt, der Menschheit die Nahrung ausgehen.

Malthus zog dann daraus die Schlußfolgerung, daß Menschen, die halt das Pech haben, zu einem Zeitpunkt geboren zu werden, an dem es nicht mehr genug zu essen gibt, leider auch keine Lebensberechtigung hätten:

„Ein Mensch, sagte er, der in einer schon occupirten Welt geboren wird, wenn seine Familie nicht die Mittel hat, ihn zu ernähren oder wenn die Gesellschaft seine Arbeit nicht nötig hat, dieser Mensch hat nicht das mindeste Recht, irgend einen Teil von Nahrung zu verlangen, und er ist wirklich zu viel auf der Erde. Bei dem großen Gastmahle der Natur ist durchaus kein Gedecke für ihn gelegt. Die Natur gebietet ihm abzutreten, und sie säumt nicht, selbst diesen Befehl zur Ausführung zu bringen.”

Ganz ökonomisch-herzlich hier der Gedanke, daß natürlich nur denen das Leben verweigert wird, deren Erzeuger sich ihre Ernährung nicht leisten können. Für die Reichen und Mächtigen stellt also die Grenze der Ernährung kein Problem dar, man hat ja Geld. Wenn man damit ein paar anderen armen Schweinen das Notwendigste wegkauft, ist das ja nicht weiter tragisch.
Unter anderem auf Grund dieser Passage hat die spätere Geschichte Malthus die Liebe entzogen und das Wort ,,Malthusianer” gilt heutzutage unter Wissenschaftlern als eindeutige Beschimpfung. Continue reading →

Ein Wechsel der Perspektive

„Eine Idee, die nicht gefährlich ist, ist es nicht wert, überhaupt eine Idee genannt zu werden.”
Oscar Wilde

Im 3. Jahrhundert vdZ wurde der bereits einmal erwähnte Grieche Archimedes von König Hieron II. an seinen Hof gerufen, weil der König eine Aufgabe für den als durchaus innovativ bekannten Mann hatte.
Der König hatte sich nämlich eine neue Krone bestellt, wie Herrscher das wohl gelegentlich tun. Dieses aus Gold bestehende Modell war natürlich recht wertvoll und so kam wohl im König der Verdacht auf, daß der beauftragte Schmied eventuell einen Teil des Goldes durch anderes Metall ersetzt hatte. Offensichtlich neigten Menschen in Herrscherpositionen bereits in der Antike zu einem gewissen Mißtrauen. Archimedes erhielt nun die Aufgabe, genau das zu überprüfen.
Was Archimedes wiederum vor ein Problem stellte.
Eine Kugel, ein Quader, ein Kubus – alle diese Dinge wären mit der damaligen Mathematik zu bearbeiten gewesen. Aber die Krone mit ihrer unregelmäßigen Form war in Zahlen nicht zu erfassen, denn die Integralrechnung war noch nicht erfunden. Der Trick war also, das Volumen der Krone zu bestimmen, ohne sie dabei zu zerstören, denn das kam natürlich nicht in Frage.

Nach einer Weile hatte Archimedes vom Grübeln die Nase voll und beschloß, einfach mal einen Tag blau zu machen und ging in die öffentlichen Bäder von Syracus. Die Legende will es, daß sich Archimedes in einer gut gefüllten Wanne genüßlich ausstreckte und dabei ordentlich Wasser über den Rand schwappte. Woraufhin Archimedes „Heureka” ausrief – das ist griechisch für „Ich hab’s gefunden” – und sich im Adamskostüm sprintenderweise durch die Stadt zurück zu seiner Werkstatt begab. Die Erkenntnis, die den alten Griechen in dem Moment ereilt hatte, war die, daß ein Körper im Wasser exakt so viel Flüssigkeit verdrängt, wie er selber an Volumen aufweist.
Prompt tauchte also Archimedes die herrscherliche Krone ins Wasser und dann einen Barren Gold mit dem gleichen Gewicht. Die Krone verdrängte mehr Wasser, hatte also bei gleichem Gewicht mehr Volumen. Ergo mußte sie aus noch etwas anderem bestehen als Gold. Die Legende erzählt uns nicht, was das für Folgen für den Schmied hatte, aber sie dürften nicht zwingend erfreulich gewesen sein.

Archimedes hatte also etwas völlig Neues entdeckt und gedacht, in diesem Falle das nach ihm benannte „Archimedische Prinzip”. Im Allgemeinen ist das auch die geistige Vorstellung von „Innovation”, die wir im Kopf haben, wenn jemand dieses Wort in unserer Hörweite benutzt.
Innovation, also der Erfindungsgeist des Menschen an sich, ist ein untrennbarer Teil vom Rasiermesser des Fortschritts. Und ebenso eine Lüge. Zumindest oft. Continue reading →

Der Gleichschritt des Chaos

„Chaos inmitten von Chaos ist nicht witzig.
Aber Chaos inmitten von Ordnung ist es.”
Steve Martin

Die menschliche Geschichte besteht also, wenn man sie mal so in ihren verschiedenen Abschnitten betrachtet, zum großen Teil aus Chaos. Zumindest erscheint ein nukleares Wettrüsten zwischen zwei verfeindeten Supermächten als soviel Chaos, wie man nur ertragen kann. Gefährlich ist es allemal.
Schon scheinbar recht simple Fragen können bei genauerem Hinsehen ein echtes Problem darstellen. „Wann begann der 2. Weltkrieg?” wäre so eine Frage.
Nun, für Europa ist diese Frage simpel zu beantworten und wir alle sollten die Antwort aus der Schule kennen: Am 1. September 1939. Aber wie sieht das eigentlich insgesamt aus? Immerhin bezieht sich die Frage ja auf einen Weltkrieg.

Für die USA begann der 2. Weltkrieg nicht vor dem 7. Dezember 1941, das war der Tag, an dem die japanische Flotte ihren Überraschungsangriff auf Pearl Harbour auf Hawaii durchführte.
Für die Sowjetunion begann der Krieg nicht vor dem 22. Juni 1941, dem Tag, an dem das bis dahin verbündete Hitlerdeutschland seinen Überfall auf Stalins Machtbereich begann.
Für den asiatischen Raum kann man hier das Jahr 1937 nehmen, als Japan im Juli des Jahres den Krieg gegen China eröffnete, nach dem sogenannten „Zwischenfall an der Marco-Polo-Brücke”. Eigentlich begann diese Serie aus Zwischenfällen, die letztlich nicht weiter als Auftakt zum Krieg waren, sogar bereits 1931.
Nördlich eines Ortes namens Mukden sprengte damals ein japanisches Kommando ein Stück der Südmandschurischen Eisenbahn in die Luft und brachte so einen Zug zum Entgleisen. Zumindest war das der Plan. Der mißlang zwar, aber zumindest konnte man diesen Zwischenfall den chinesischen „Banditen” in dieser Gegend in die Schuhe schieben. Damit hatte Japan einen Vorwand, um die Stadt zu besetzen und die wichtige Eisenbahnlinie unter seine Kontrolle zu bringen.
Man darf nicht vergessen, daß dieses Japan bereits 1895 Krieg gegen China geführt hatte, ebenso wie 1905 gegen Rußland. Beide Konflikte hatte Japan gewonnen, was zur Besetzung Taiwans, der südlichen Sachalin-Halbinsel und Koreas führte, daß 1905 besetzt und 1910 von Japan offiziell annektiert wurde. Continue reading →

Ein Griff in die Geschichte

„Wir sind nicht die, die Geschichte machen. Geschichte macht uns.”
Martin Luther King

Korea. 1950.
Der zweite Weltkrieg ist gerade fünf Jahre Vergangenheit. Erbe dieser Vergangenheit ist eine koreanische Halbinsel, die geteilt ist. Der Norden ist besetzt von der UdSSR, der Süden von den USA. Denn vorher war Korea von Japan besetzt, bis zwei Atomwaffen über zwei Städten detonierten und so den 2. Weltkrieg auch im Pazifik beendeten. Ursprünglich hatten sich die Besatzungsmächte auf ein einiges Korea verständigt.
Doch der unmittelbar nach Kriegsende in Europa einsetzende Spannungszustand, der später „Kalter Krieg” getauft werden wird, macht aus der provisorischen Grenze zweier Verwaltungszonen eine Demarkationslinie zwischen Osten und Westen, zwischen Stalin und Truman, zwischen Sowjetunion und USA. Der Konflikt bleibt nicht lange kalt. Im Juni 1950 marschieren nordkoreanische Einheiten über den 38. Breitengrad nach Süden und erobern binnen kurzer Zeit fast die gesamte Halbinsel. Der UN-Sicherheitsrat verurteilt den Angriff und gibt nur wenig später grünes Licht für eine entsprechende UN-Mission.

Damals hieß das nicht etwa, irgendwo für die Fernsehkameras Reissäcke abzuwerfen, sondern mit Bomben und Granaten irgendwem einzuheizen.
Das wiederum besorgten erst mal die Armee Südkoreas und die Amerikaner, die dann tatsächlich das Blatt wenden konnten.
Nach einigen Wochen verzweifelten Abwehrkampfes um den letzten noch verbliebenen Zipfel Südkoreas gelang den Amerikanern tatsächlich der Befreiungsschlag  in Form einer Landung im Rücken der siegessicheren Nordkoreaner.
Wie in einem Hollywoodstreifen mit der üblichen Rettung in letzter Sekunde eroberten die Armeen des Südens so ziemlich alles zurück,  was vorher verlorengegangen war. Aber das war dem Befehlshaber der amerikanischen Truppen nicht genug. Continue reading →