Unreal Tournament 2022

»Can you imagine when this race is won
Turn our golden faces into the sun
Praising our leaders, we’re getting in tune
The music’s played by the, the mad man.«
Alphaville

Es ist früher Morgen. Etwa halb Acht. Auf den Uhren. Nach solarer Zeit, also Winterzeit, ist es halb Sieben.
Nennen wir es die Zeit, an der Menschen nicht rumgefummelt haben. Seit Jahren stelle ich jetzt meine Küchenuhr im Frühjahr und Herbst nicht mehr um. Alle anderen Zeitanzeigen sind leider elektronisch und drücken mir so automatisch die Vorstellung von einer Tageszeit auf, die irgendeine Bürokratenkommission mal festgelegt hat.
Das Universum ignoriert diese menschliche Anweisung, wie es zu ticken hat, mit heiterer Gelassenheit weiterhin und tickt einfach so weiter wie immer. Der Lauf des Planeten um die Sonne und die damit verbundenen astronomischen Fakten – wie beispielsweise die Position des Zentralsterns am irdischen Himmel – verändern sich durch diese abstruse Angewohnheit der Zeitumstellung nicht ein bißchen.
Es ist also de facto einfach halb Sieben. Der Himmel leuchtet im irdischen Blau, die Luftfeuchtigkeit liegt bei 94% und es ist neblig. Im Juni. Während mein Rad mich leise scheppernd über den durch andauernde Trockenheit betonharten Feldweg trägt, zischen grüne Papageien im Tiefflug an mir vorbei und kreischen sich gegenseitig Warnrufe zu. Eigentlich sind die Tiefflieger Sittiche und Neozoen, sie gehören also nicht hierher.
Die Tiere sind irgendwo ausgebüchst und haben dann festgestellt, daß es sich im deutschen Regenwaldklima ganz brauchbar leben läßt. Wikipedia spricht von einer „nicht etablierten Population“, wie ich neulich mal nachgeschlagen habe. Aber Wikipedia wird auch täglich dümmer.

Mir sind die Viecher schon vor Jahren aufgefallen, da saßen sie schwätzend in einem Baum und waren grün und ich hielt sie für Flüchtlinge aus einem Zoogeschäft. Was vermutlich auch nicht ganz falsch ist. Jedenfalls kann ich aus eigener Beobachtung klar feststellen, daß es seitdem nicht weniger von denen gibt. Vor zwei Jahren, im ersten Pandemiewinter, sind sie mir sogar erstmals während dieser Jahreszeit aufgefallen. Die sind längst in der ganzen Gegend hier unterwegs.
Den neuen Avianern geht ihre Einstufung als nicht etabliert also auch stark am federumkränzten Allerwertesten vorbei, während eine Gruppe von geschätzt zwanzig Tieren im Baum ihr Morgengespräch führt. Wie viele andere Vogelarten sucht sich auch diese abends einen Schlafplatz für die Gruppe. Zwischendrin scheint immer wieder eines der Tiere zu lachen. Vermutlich haben sie gerade ihren Wikipedia-Eintrag gelesen.

Bedenkt man, daß Vögel die Nachfahren der Dinosaurier sind, paßt ihr Auftreten perfekt zu dem Dschungelklima, durch das ich gerade fahre. Ich radle zum Bahnhof, zu einer eingebildeten Uhrzeit, und fühle mich wie damals auf Borneo, wobei es dafür noch ein paar Grade wärmer sein müßte. Dabei werde ich von angeblich nicht existenten Papageien ausgelacht, die tatsächlich Sittiche sind. Das ganze Szenario fühlt sich zunehmend surreal an.

Allerdings fahren die Orangs auf Borneo keine SUV, dafür sind die zu schlau. Also bin ich wohl doch unter Menschen.
Ulf Poschardt, dieser Strickpullunder des Grauens, der sich in seinem Wahn noch immer für einen investigativen Journalisten hält, hat erst vor einigen Wochen einen angeblichen Artikel veröffentlicht, in dem er ernsthaft behauptete, Elektroautos bauen könne jeder, der Verbrennungsmotor hingegen sei ein Kulturgut.
So was schreibt ein Mann, dem ich nicht mal zutraue, die Kneifzange richtig rum zu halten, mit der er sich täglich seine Unterhose anzieht, bevor er dann mit seinem Porsche langsamer ins Büro fährt als ich mit dem Rad. Immerhin kriegt er es dabei gebacken, die Klimaanlage in seinem Kulturgut so weit runter zu drehen, daß er auch bei 30° Außentemperatur weiterhin in Hemd und Strickpullunder rumfahren muß. Falls es eine Millimetereinteilung für die Skala des Realitätsverlustes nach Kubicki geben sollte, wird sie in Poschardts gemessen. Continue reading →

Long live The Queen

»We lost the American colonies because we lacked the statesmanship to know the right time and the manner of yielding what is impossible to keep.«

Eine alte Dame, schon längere Zeit gesundheitlich angeschlagen auch durch den Tod ihres ebenfalls hochbetagten Gatten vor knapp 18 Monaten, schließt im Alter von 96 Jahren ihre Augen ein letztes Mal. Ein letztes Ausatmen. Stille. Das ruhige Ende eines langen Lebens.

Kein ungewöhnliches Ereignis. Tausende Menschen sterben auf diesem Planeten jeden Tag, mal mehr und mal weniger friedlich. Bei einer Frau von 96 ist dieses Ereignis eigentlich stündlich zu erwarten. Doch wie so oft mit Dingen, von denen wir genau wissen, daß sie sich unvermeidlich ereignen werden, kommen sie dann doch irgendwie überraschend.

Der letzte Atemzug von Queen Elizabeth II., Herrscherin über das Vereinte Königreich von Großbritannien und Nordirland, uneingeschränkte Souveränin der Commonwealth Realms, Staatsoberhaupt von 56 Staaten des Commonwealth of Nations, einer politischen Konstruktion, in der die Sonne noch immer niemals untergeht, Fidei Defensatrix, hinterläßt so etwas wie gespannte Ruhe auf dem Globus.
Irgendwie schien seit Donnerstag, dem 8. September dieses Jahres, die Welt in gewisser Weise stillzustehen.

Nichts könnte symbolischer sein für dieses unser Zeitalter des Niedergangs und Verfalls als der Tod dieser Frau mit Hut, Handtasche und Hunden. Und einem nicht ganz unerheblichen Vermögen, wenn ich das am Rande einmal erwähnen darf.
Schon nach dem Tod von Prinz Philip stellte ich mir die Frage, wie lange nach ihrem Gatten, der nur zwei Monate vor seinem 100. Geburtstag den Planeten verlassen hatte, die Poster Granny aller gekrönten Häupter der Erde wohl noch durchhalten würde. Immerhin waren die zwei 73 Jahre verheiratet. Menschen, in deren Stammbaum das irgendwo vorhandene Langlebigkeitsgen der Windsors nicht eingebaut ist, werden oft nicht einmal so alt. Nach meiner Erfahrung treten sehr alte Ehepaare häufig nicht besonders lange getrennt voneinander ab.
Aber Lizzy II. erwies sich, wie immer in ihren über 70 Jahren auf dem Thron der gammeligen Reste eines Empire, als diszipliniert und zäh. Sie hat sehr viel länger durchgehalten, als ich das erwartet hätte.

Aber die Ernennung von Liz Truss zur Premierministerin, nur zwei Tage vor ihrem Tod, hat ihr offensichtlich den Rest gegeben.
Die zweite überaus symbolische Handlung der vorletzten Woche war eben jene Liz Truss, diese verachtenswerte Frau, wie sie in der ersten wichtigen Rede ihrer Amtszeit ausgerechnet den Tod der größten Herrscherin verkünden mußte, die das Very British Empire jemals gehabt haben wird.
In allen Worten ihrer Rede beschrieb Truss eine Frau, die sie selber gerne wäre und in keiner denkbaren Iteration eines Universums jemals sein wird. Allerdings glaubt sie in diesem hier fest daran, tatsächlich das Zeug dazu zu haben.
Man kann Großbritannien hassen. Oder seine Monarchie. Doch für welche Sünde es sich Liz Truss eingefangen hat, übersteigt selbst die an Häme nicht unbedingt arme Vorstellungskraft von Kassandra. Selbst Satan persönlich hätte eine solche Strafe nicht über seine Erzfeinde verhängt.

Bild des Grauens: Gordon Brown, Boris Johnson, David Cameron und Theresa May. Die Maschinisten im Maschinenraum der britischen Apokalypse heucheln Trauer und Treue bei der Vereidigung von King Charles III. Quelle: BBC/The Guardian

In über 70 Jahren hat die Queen im Schnitt 18 Termine wahrgenommen. Täglich. Das sind etwa doppelt so viele wie ein Olaf Scholz bisher in seiner gesamten Amtszeit als Kanzler insgesamt hinbekommen hat.
Monarchen haben weder Sonn- noch Feiertage. Und sie gehen nicht in Rente. Fast könnte man Elizabeth mit dem Papst vergleichen, wenn nicht ausgerechnet der erste Deutsche in diesem Amt nach 1.000 Jahren sich aufs Altenteil zurückgezogen hätte, statt einfach protokollgemäß im Amt zu versterben.
Außerdem wäre sie darüber vermutlich amused gewesen, bezieht sich das „fidei defensatrix“ in ihrer langen Kette aus ererbten, ergaunerten, erfundenen und sonstigen Titeln doch schließlich auf die Anglikanische Kirche. Die es niemals gegeben hätte, wäre ein anderer Papst gegenüber einem anderen englischen König vor ein paar Jahrhunderten einsichtiger gewesen. In einer anderen Iteration dieses Universums…doch Nein. Es ist nicht der richtige Zeitpunkt für solche Abschweifungen.

Wenn Elizabeth II., einzig wahre Nachfolgerin ihrer großen Namensvetterin aus dem 16. Jahrhundert, heute endlich ins Grab gesenkt wird, nachdem man sie 10 Tage lang wie eine Monstranz durch das ganze verdammte Land gekarrt hat, ist damit auch das Ende des British Empire selbst für die hartnäckigsten Realitätverweigerer der Inselnation nicht mehr zu verleugnen.
Überhaupt ist, wie dero Herrscherin dereinst so korrekt vermerkte, das krampfhafte Festhalten an längst überkommenen Dingen abseits der Realität ein nicht unerheblicher Faktor im Niedergang von Systemen, seien sie nun demokratisch, imperial oder anders organisiert.

Mögen beide, Empire und Queen, ihren wohlverdienten Frieden finden. Kassandra schätzt allerdings, daß nur einer von beiden Entitäten das auch tatsächlich gelingen wird.
Long live the Queen!