Das wahre Morgen

– XIII –

Das tödliche Happy End

„Wenn man das eliminiert hat, was unmöglich ist, muß das, was übrigbleibt, der Wahrheit entsprechen, mag es auch noch so unwahrscheinlich erscheinen.”
Sherlock Holmes

Unsere aktuelle Plastikkultur vermittelt uns weiterhin die Narrative, deren Zeit längst abgelaufen ist. In unserem chronischen, geradezu starrsinnigem Beharren darauf, daß das Paradies in der Zukunft liegt, in fliegenden Autos und Megastädten, im ewigen Fortschritt und ewigen Wachstum, laufen wir Gefahr, völlig zu vergessen, daß „Kultur” etwas ist, das nur auf dem Boden der Geschichte wachsen kann.
Bei vielen Menschen scheint dieses Vergessen bereits vollständig zu sein.
Bei anderen kann man nicht von Vergessen sprechen.
Eine ganze und eine halbe Generation sind bereits so erzogen und ungebildet worden, daß sie sich um Vergangenheit in den meisten Fällen einen Dreck scheren. Was man sich nie bewußt gemacht hat als Kollektiv, als Kultur eben, kann man nicht vergessen. Dieses mangelnde oder fehlende Bewußtsein wird dann politisch ausgenutzt, um Menschen denselben Unsinn machen zu lassen wie schon einmal. Es ist egal, ob Goebbels eine Rede hält oder ein Hochglanzprospekt der sogenannten Identitären Bewegung. Die Gedanken hinter der Sprache sind dieselben.
Wie so oft weigern wir uns standhaft, aus der Geschichte Lehren zu ziehen. In aktueller Ausprägung dadurch, daß die Vergangenheit für technologisch irrelevant erklärt wird. Gemeint ist damit auch immer kulturelle oder zivilisatorische Irrelevanz. Was gestern oder vorgestern war, kann heute nicht mehr benutzt werden, denn es ist ja von gestern. Also muß es schlechter sein, hat uns keine Antworten auf die drängenden Probleme und Fragen unserer Zeit zu bieten.
Das eventuell die angeblichen Lösungen der Probleme des Gestern durch Innovation und Fortschritt im Ergebnis die Probleme des Heute bilden, wird von den Heilspredigern der technologischen Erlösung ignoriert. Es paßt eben nicht ins verinnerlichte Narrativ. Nichts ist unlösbar. Nichts darf unlösbar sein.

Wobei auch das Konzept der wissenschaftlichen und gesellschaftlichen „Problemlösung” unter den falschen Narrativen leidet. Denn nach der Lösung eines Problems, egal in welcher Form, muß die Welt zwingend besser sein. Wenn unsere Verbrennungsmotoren die Umwelt verseuchen und dem Klima schaden, nun – dann bauen wir eben weiterhin Autos. Nur eben ohne Verbrennungsmotoren. Denn das längst sinnleere Konzept des Fortschritts zwingt uns dazu, den Exzess unserer Massenmobilität, das Symbol des 20. und 21. Jahrhunderts, unbedingt beizubehalten. Eine Zukunft ohne diese Eigenschaft kann nicht gedacht werden und darf nicht gedacht werden. Es wäre ein Rückfall in finstere Zeiten aus Höhlen und Fackeln. Also etwa das Jahr 1900 oder so.
Da wäre vielleicht auch noch die Tatsache, daß diverse Konzerne mit dem Bau der individuellen Massentransportmittel eine Menge Geld verdienen und das auch gerne weiterhin tun möchten. Wer jetzt bei der Kombination von Individualität und Massentransport die Stirn gerunzelt hat, hat aufgepaßt.
Es kann also nicht sein, daß eben dieses Konzept in Frage gestellt wird. Das individuelle Fahrzeug, von Robotern liebevoll zusammengedengelt, muß unbedingt Teil der ewigen Zukunft sein und bleiben. Statt der Verbrenner nehmen wir eben Elektromotoren und alles wird gut sein. Hauptsache, es gibt weiter Autos. Schon deshalb, damit manche Menschen eines besitzen können, denn diesen Leuten geht der Besitz eines fossilen Vehikels über alles.

Für mich war so ein Gefährt immer ein Werkzeug, mit dem ich von Punkt A nach Punkt kommen konnte. Aber für andere Leute ist ein Auto längst etwas wie ein Fetisch geworden. Gerade der Durchschnittsdeutsche scheint in dieser Hinsicht einen starken Hang zur Selbstgeißelung zu haben. Ganze Gruppen oft jugendlicher Gestalten scheinen sich ausschließlich über das Glänzen des Metalliclacks oder die Breite der jeweils aufgezogenen Schlappen in ihrem kümmerlichen Selbstbild aufwerten zu können. Natürlich gab es die Bastler, Schrauber und Tuner auch schon zu meinen Jugendzeiten und nicht nur bei Autos, sondern auch bei Motorrädern.
Aber trotzdem hätte niemand in meinem damaligen Freundeskreis das eigene Fahrzeug derartig angebetet, wie ich das heutzutage gerne mal erlebe. Außerdem hatten wir damals wenigstens Geschmack und wären nie auf die Idee gekommen, daß ein 3er BMW mit Flammen-Decals irgendwie weniger scheiße aussieht als vorher. Nein – in den 80ern bedeutete das Aufmotzen einer Karre normalerweise, daß man von außen nichts gesehen hat. Die Möhre sollte genauso rostig aussehen wie vorher. Sie sollte nur eben nicht so abgehen, wenn man dann aufs Gas getreten hat.
Und wer sich heute in Jugendjahren nicht mehr so für den Besitz eines Autos interessiert – eine Symptomatik, mit der die Konzerne in allen großen Industrieländern zu kämpfen haben – der muß zumindest das neueste Smartphone besitzen. Tuning auf anderer Ebene.

Auch diese seltsame Konsumkultur, die in den letzten Jahrzehnten in unfaßbarem Ausmaß die Welt erobert hat, darf nicht in Frage gestellt werden. Alles, was dazu an Vorschlägen aus Wirtschaftskreisen kommt, kann man getrost den Hasen geben. Unterm Strich ist es da exakt so wie mit den Autos. Überall blühen Vorschläge wie „ethischer Konsum” oder „grünes Wachstum”.
Ein Teil der Voodoopriester der Ökonomie behauptet einfach, man könne Wachstum völlig vom Ressourcenverbrauch abkoppeln. Das ist natürlich völliger Blödsinn, gewinnt aber trotzdem renommierte Preise.
All diese Konzepte laufen nur darauf hinaus, daß die Zukunft so sein wird wie das heute, nur digitaler. Und davon viel mehr. Mich erinnert das an den alten Witz, daß sich in der modernen Dienstleistungsgesellschaft irgendwann alle gegenseitig die Haare schneiden.
Es gibt auch die Stimmen, die sagen, daß nur weniger Konsum richtig sein kann. Was auch stimmt. Es ist die zwingend logische Schlußfolgerung aus allen empirischen Daten, die uns vorliegen. Aber Ökonomen und Politiker und auch die meisten Alltagsmenschen wollen davon nichts hören. Schnell wird dann damit abgelenkt, daß ja das Bevölkerungswachstum das einzige Problem sei und man dieses eindämmen müsse, ganz speziell in Afrika.
Das ein Mitteleuropäer deutscher Prägung etwa 25mal so viele Ressourcen verbraucht wie ein Typ in Ägypten, läßt man dabei unter den Tisch fallen. Denn die unangenehme Schlußfolgerung daraus wäre ja, daß man das Wachstum deutscher, amerikanischer, französischer und anderer Bevölkerung senken muß. Aber das will niemand hören. Wir sind ja die Guten.
Die Fakten sind egal, wenn sie nicht gedanklich zu der Zukunft führen, die von irgendwelchen Wachstumspropheten in ihren Elfenbeintürmen herbeiphantasiert wird. Alles, was mit den Basisnarrativen unserer Welt kollidiert, findet gedanklich nicht statt.

Die Lösung eines Problems darf das Jetzt, das Heute, nicht in Frage stellen. Stellen Menschen wie ich, in meiner Bambushütte am Rande der Gesellschaft, die These auf, daß ein Großteil unserer Probleme gar keine solchen sind und es deshalb dafür überhaupt keine Patentlösung geben kann, wird auch dieser Hinweis gerne vollständig ignoriert.
„Unser Problem” meint übrigens ganz simpel alle Bewohner dieses Planeten, völlig unabhängig von ihrem Aufenthaltsort, der Anzahl ihrer Beine oder überhaupt dem Vorhandensein derartiger Extremitäten.
Unser reduktionistischer Begriff von Wissenschaften und Wissen an sich führt zwingend dazu, alles, was uns Menschen und unsere Zivilisation so beschäftigt, als Problem zu sehen. Denn nur dafür können Wissenschaften auch eine Lösung erarbeiten. Oder vielmehr etwas, das eben so aussieht wie eine Lösung.
Dummerweise gibt es da eine Menge Dinge, die dieser Auffassung nicht folgen und die sich daher weigern, ein Problem zu sein.
Darauf zu zeigen und laut zu rufen, daß der Professor aber nackt ist, ist deswegen verpönt, weil es gegen den Zwang zum „Happy Chapter” verstößt, den ich schon einmal kurz erwähnt hatte.

Kritische Fragen sind falsch formuliert. Einsichtige Aussagen sind bei näherem Hinsehen oft kurzsichtig. Mensch bleibt chronisch inkonsequent.

Es gibt Dutzende Artikel in den Medien der letzten Jahre, die immer wieder die Frage stellen: „In welcher Welt wollen wir leben?”
Was ist aber, wenn sich diese Frage für die Zukunft der Spezies Mensch gar nicht stellt? Wenn sie schlicht und einfach von den falschen Voraussetzungen ausgeht?
Was ist, wenn die korrekte Frage lautet: „In welcher Welt können wir leben?”

„Bereits 2040 oder ’50 werden wir bis zu fünf weitere Erden benötigen, um diese zu versorgen. Das ist unmöglich.” – Anil Menon

Anil Menon ist Präsident der Abteilung „Vernetzte Stadtsysteme” (Smart & Connected Communities) beim Computerriesen Cisco, und er sagt diesen Satz in einer Dokumentation über die Stadtentwicklung der Zukunft.
Menon hat völlig recht. Das ist tatsächlich unmöglich. Die Anzahl der aktuellen Planeten, auf denen Menschen in größerer Zahl wohnen, beträgt noch immer exakt eins.

Solche Sätze scheinen dem zu widersprechen, was ich vorher gesagt habe.
Aber das tun sie nicht. Was einsichtig klingt, ist weiterhin kurzsichtig.
Was Menon übersieht, ist die schlichte Tatsache, daß das eigentliche Problem schon wesentlich früher beginnt. Nämlich in genau dem Moment, in dem Mensch eine vorhandene Ressource in größerem Maße benutzt und ausnutzt, als sie von den Naturgeflechten der Erde zur Verfügung gestellt werden können. Und natürlich ist es gar kein Problem, denn dieses Wort signalisiert ja technologische und wissenschaftliche Lösbarkeit. Quasi ein fröhliches “Wir schaffen das!” mit V-Zeichen und Lächeln in die Kamera. Menons Lösung der – tatsächlich unvermeidlichen – Ressourcenknappheit besteht im Bau neuer Wunderstädte, die mit ihren vernetzten Wundersystemen den darin lebenden Menschen eine bessere Nutzung der Ressourcen ermöglichen sollen.

Aber längst benutzt Mensch den Planeten schneller als jede Regeneration erlaubt. Seit den 50er Jahren hat sich die Dicke des Mutterbodens in den USA im Durchschnitt halbiert. Der fehlende Teil ist als Staub oder Schlamm dank moderner Ackerbaumethoden im wahrsten Sinne des Wortes vom Winde verweht oder den Bach runtergegangen. Eigenlich betreiben wir also heutzutage gar keinen Ackerbau. Wir betreiben Ackerabbau.
Zum Glück ist so etwas wie Mutterboden ein regeneratives System des Planeten. Man muß nur 10- oder 20.000 Jahre Zeit mitbringen, dann wird das schon wieder mit der Dicke des Mutterbodens.
Bei Fischbeständen sieht es ähnlich aus. Seit den 50er Jahren verschwinden ganze Arten, die vorher in rauhen Mengen in den Ozeanen vorhanden waren und die wir Menschen lecker finden. Und nicht nur die rauhen, auch die glatten und schleimigen Mengen – wie Meerestiere oft sind – verschwinden nicht langsamer.
Eigentlich bestünde da kein Grund zur Panik. Denn man muß die Bestände nur in Ruhe lassen bzw. nicht mehr aus dem Wasser holen, als so nachgebrütet werden kann. Und schon haben auch Fischer im Jahre 3018 noch leckeres Zeug, das sie aus dem Wasser holen und dann grillen, braten, marinieren, trocknen oder sonstwie in leckere Häppchen verwandeln können.
Aber leider glaubt Mensch auch lieber daran, daß Fangquoten Arbeitsplätze in der Fischerei kosten. Deswegen fängt er weiter und wundert sich dann am Ende, wenn kein einziger Fischer mehr Arbeit hat. Oder Fisch.
Oder Mensch glaubt lieber, daß die böse Europäische Union daran schuld ist, daß britische Fischer heute nur noch ein Zehntel dessen aus dem Meer holen können, was noch vor 60 Jahren als normal galt. Die Fangquoten, siewissenschon.
Mit Überfischung hat das ganze nichts zu tun. Das ist völlig ausgeschlossen und wird deshalb nicht in Erwägung gezogen.
Wir haben gestern Unmengen an Fisch gefangen, also muß das heute ja auch gehen. Denn die Zukunft von Gestern ist ja jetzt und die Zukunft kann nur besser sein. Da mit den dummen Fischen aber offensichlich irgendwas nicht stimmt, muß Europa schuld sein und deshalb wählt man dann den Brexit. Ich bin dann sehr gespannt auf die steigenden Fangquoten britischer Fischereiindustrie, wenn dieser Akt politischer Selbstverstümmelung vorbei ist.

Was sich hier abspielt, ist kein Problem. Es ist ein Dilemma. Zur Natur eines Dilemmas aber gehört es zwingend, daß es keine Lösung hat. Jedenfalls nicht im wissenschaftlichen oder ökonomischen Sinne.
Aber unser Hang zum Happy Chapter verbietet uns an dieser Stelle, etwas zu unternehmen. Es würde bedeuten, das Fundament aus Lügen, auf dem wir unsere aktuelle Zivilisation errichtet haben, mit einem Mal in Frage zu stellen. Menschen stellen solche Dinge ungern in Frage.
Darth Vader hat gar keine andere Wahl, als am Ende zum Guten überzulaufen. Die helle Seite der Macht muß sich als stärker erweisen. Meister Yoda kann nicht in einem Lichtschwertkampf gegen einen Gegner unterliegen, das ist ausgeschlossen. King Kong kann nicht gewinnen und die Stadt zerstören. Katniss Everdeen muß am Ende den Präsidenten von Panem töten. Auch wenn das nichts ändert. Das ist uns egal, denn dieser Gedanke findet nach dem Abspann des Films statt, hat also für das Narrativ keine Bedeutung. Nur für die Realität.

Das ist auch der Grund, warum sich so viele Menschen über den aktuellen Teil VIII der Star Wars Saga beklagt haben. Die Entwicklung irgendwelcher Protagonisten stieß auf heftige Kritik beim Publikum.
Das originale Ende von Blade Runner ist eine Sequenz, in der deutlich wird, daß der Replikantenjäger Rick Deckard selber ein Replikant sein muß. Außerdem fahren er und seine Geliebte nicht in eine grüne Welt hinaus – übrigens in einem Auto mit Verbrennungsmotor auch noch.
Nein. Das Original des Blade Runner von 1982 endet mit einem Schnitt in schwarze Leinwand. Sonst nichts. Dagegen erhob das Testpublikum Protest, so daß das Ende des Film umgeschrieben und -geschnitten wurde und durch die bekannte Szenerie ersetzt. Das dieses Ende absolut nicht mit der vorherigen Geschichte korrespondiert, war dabei egal.
Das passiert, wenn man gegen das Gebot des Happy Chapters verstößt, sei es in Film oder Literatur oder anderswo: Das Publikum protestiert gegen dieses Eindringen der Realität in das eigene Narrativ und verlangt, daß die Realität sich gefälligst zu ändern habe. Wobei ein Verstoß gegen das Happy Chapter in der Literatur einfacher ist als in Hollywood-Filmen.
Doch selbst ein berühmter Schriftsteller wie Arthur Conan Doyle wurde mit dem Äquivalent des Twitter-Shitstorms überzogen, als er seinen Sherlock Holmes 1893 in „Das letzte Problem” in die Reichenbachfälle stürzen ließ.
Menschen banden sich Trauerflore an den Oberarm im viktorianischen London – vermutlich das erste Mal, daß der Tod einer fiktiven Figur öffentlich betrauert wurde. Doyle erhielt Drohbriefe. Waschkörbeweise Zuschriften aus aller Welt wiesen den Autoren darauf hin, daß er das nicht machen könne, denn schließlich würde ein toter Holmes ja keine Fälle mehr lösen. Was auch die Absicht von Doyle gewesen war. Schließlich wurde Holmes aber exhumiert und löste neue Fälle, denn man bot Doyle obszöne Summen an, sollte er weitere Holmes-Romane schreiben. Da ihn 1901 die Muse auch wieder küßte, schrieb er „Der Hund der Baskervilles” und schließlich brachte es der Meisterdetektiv auf 56 Erzählungen und vier offizielle Romane.

Bild 1: Sherlock Holmes, hier in seiner modernen Version
Der Erschaffer des berühmten Detektivs war wohl der erste Schriftsteller, dem sein Publikum vorwarf, er könne doch die gewünschte Realität nicht einfach ignorieren und seinen Meisterermittler sterben lassen. Sherlock selber hätte ein derartiges Ansinnen als lächerlich verworfen.

Eine Vison der Zukunft ist also die fortschreitende Konzentration des Menschen in Megalopolen. Immer wieder wird die Stadt als effizientes Werkzeug gepriesen, um Ressourcen vernünftig und gut auszunutzen. Tatsächlich verbrauchen Städte nur etwa zwei Prozent der Landoberfläche der Erde, aber inzwischen wohnen mehr als 50 Prozent der Weltbevölkerung in ihnen. Klingt gut. Also machen wir weiter in dieser Richtung. Die smarte Stadt ist das Modell der Zukunft.
Dummerweise verbrauchen Städte aber auch 75 Prozent der Energie weltweit und erzeugen etwa 80 Prozent des CO2-Ausstoßes. Diese Werte scheinen der Legende vom Effizienzwerkzeug zu widersprechen. Aber in der smarten Stadt wird Abwasser wieder aufbereitet und für Parks und die Straßenreinigung verwendet. Die Notwendigkeit einer Müllabfuhr entfällt dank pneumatischer Entsorgungssysteme.
Die Verkehrsplanung kann Radfahrstraßen einplanen. Computerisierte Leitsysteme für dann womöglich automatische Autos. Kein Stau mehr zur Rush Hour.
Man baut Menschen digitale Stromzähler in die Gebäude.
So kann man auf einem Display in der eigenen Wohnung ablesen, wieviel Strom man in einem Monat so verbraucht hat. Man kann auch den Durchschnittsverbrauch der Bewohner ablesen und sehen, ob man darüber oder darunter liegt.

An dieser Stelle wird es trickreich. Denn natürlich gibt es Methoden, um Menschenmengen von einer bestimmten Verhaltensweise zu überzeugen oder sie zu einer zu bewegen. In Verbindung mit einer entsprechenden Politik kann man so zum Beispiel die Preise für Menschen erhöhen, die mehr als einen Monat lang 20 Prozent mehr Strom verbrauchen als der Durchschnitt. Aber andere Anreize funktionieren besser.
So könnte man auf dem Display aller Wohnungen eines Hauses zum Beispiel einen Preis ausschreiben für denjenigen, der am wenigsten verbraucht. Auch mit Hilfe von Fernseh- oder Internetwerbung könnte man Menschen dahingehend beeinflussen, daß ein geringer Energieverbrauch zum guten Ton gehört, zu den allgemeinen Regeln des Zusammenlebens. Eine eingeblendete Linie auf Displays könnte beispielsweise ganze Häuserblöcke gegeneinander antreten lassen. Vielleicht ganz besonders im Winter, wenn in einer Stadt mit viel Solarenergieversorgung gerade weniger Strom erzeugt werden kann.
Dieses Prinzip wird längst von der Spieleindustrie eingesetzt und nennt sich daher Gamification. Ich hatte das schon einmal irgendwo erwähnt.
In Spielen führt dieses Prinzip zum sogenannten “Achievement-System”. Erledigt ein Spieler eine Aufgabe besonders schnell oder einen Teilaspekt einer Mission besonders effizient – sagen wir, ohne eigene Verluste bei den eingesetzten Einheiten – erhält er ein Stück Zucker, das zum Weiterspielen anregt. Eben einen Erfolg.

Man könnte mit derartigen Methoden Menschen in einer Smart City also in einer Art positivem Konkurrenzkampf gegeneinander antreten lassen.
Allerdings ergibt sich hier auf Dauer ein psychologisches Problem, zumindest bin ich mir da sicher. Ein Spiel kann abgeschaltet werden, ein Spielstand gespeichert. Die Realität kann nicht pausiert werden. Der eigentlich positiv besetzte Konkurrenzkampf wird sich als Bestandteil des Alltags irgendwann in einen Albtraum verwandeln, ein weiteres Element soziologischen Drucks.
Bedauerlicherweise sind solche Lösungen keine Lösungen. Sie sind Teil des Dilemmas. Denn auch Abwasserwiederaufbereitung oder Energiesparen ändern nichts an der Tatsache, daß eine Stadt eine ganz grundlegende Eigenschaft hat: Sie konzentriert eine Anzahl von Menschen in einem Gebiet, die im Normalfall in diesem überhaupt nicht existieren könnten.
Es ist keine echte Problemlösung, wenn 40 Prozent des Brauchwassers aufbereitet werden oder die Stadt auch noch Regenwasser auffängt, wenn trotzdem Millionen Kubikmeter des kostbaren Stoffes über oft Hunderte Kilometer Rohrleitungen herangeschafft werden müssen. Denn das verbraucht natürlich Energie und Ressourcen. Rohrleitungen werden nicht von magischen Hamstern verlegt und sie bestehen auch nicht aus Luft.
Übrigens versickern schätzungsweise global bis zu 30 Prozent des Nutzwassers der Menschheit in schadhaften Rohrleitungen. Soweit dann zur Effizienz. Auch die Zukunft des Städtebaus, der Traum von Metropolis oder der Albtraum von Gotham, zielen beide an der Realität des Wahren Morgen vorbei. Städte haben schon immer Menschen auf kleinem Raum geballt. Das ist ihr Zweck.

Letztlich erreicht man unweigerlich einen Punkt, an dem das überschritten wird, was man in der Biologie oder Ökologie die „ökologische Tragfähigkeit” nennt.
Schon zu römischen Hochzeiten, als das Caput Mundi, das Haupt der Welt, eine Million Einwohner umfaßte, besorgten sich die Römer das Wasser für ihre Brunnen und Thermen über Hunderte von Kilometern. Sieben Hauptaquädukte versorgten die Stadt mit dem frischen Naß. Das konnte aber nur funktionieren, weil das alte Rom auf einem anderen Planeten gebaut wurde.
Auf diesem Planeten gab es keine elektrischen Pumpen, die das Wasser bewegten. Die römischen Ingenieure arbeiteten ausschließlich mit der Schwerkraft, denn etwas anderes hatten sie nicht. Außerdem konnten sie das Wasser von sehr weit her holen, weil es in diesem „weit her” sehr viel weniger Menschen gab als heute.
Der Planet Rom hatte keine 7,6 Milliarden Einwohner. Somit waren die Römer in der Lage, ihre zu große ökologische Belastung wesentlich besser auf ein großes Gebiet zu verteilen. Heute ist das nicht mehr machbar. 1500 Jahre nach dem Untergang des Weströmischen Imperiums hat Mensch keine Möglichkeit mehr, die Überlastung der Systeme zu verteilen und somit die Folgen abzuschwächen. Wir sind inzwischen überall.

Die einzig logische Schlußfolgerung aus dem, was wir wissen, wäre es also, die vorhandenen Menschen so auf die bewohnbaren Gebiete der Erde zu verteilen, daß man die dort vorhandenen Ressourcen optimal nutzen kann. Immer mehr Menschen an einem Ort zu konzentrieren und dann alle Ressourcen dort hinzukarren, wird auf Dauer nicht funktionieren können.
Alle Städteplaner, auch diejenigen mit durchaus hehren ökologischen Absichten, sind Gefangene des allgegenwärtigen Narrativs der menschlichen Überlegenheit.
Wie die Kinozuschauer erwarten, daß die Geschichte ihren Wünschen angepaßt wird, erwarten diese neuen Architekten der intelligenten Städte, daß sie Städte in die Landschaft stellen können und dann alles funktioniert.
Der vernünftige Weg wäre es, erst einmal die Bedingungen vor Ort zu studieren, um dann herauszufinden, welche Stadt man an dieser Stelle eigentlich bauen kann. Die modernen Erschaffer der Zukunft wollen die Teile der Stadt miteinander vernetzen, aber sie vergessen dabei, daß die Stadt ebenfalls vernetzt sein muß mit dem Ort, an dem sie erbaut wird. Es gibt einen Grund dafür, warum manche Städte seit Jahrtausenden an bestimmten Stellen stehen.

Interessanterweise wird immer wieder vorgeschlagen, daß in Städten der Zukunft alle wichtigen Dinge zu Fuß erreichbar sein sollten. Dieses Konzept nennt sich “walkable societies”, also etwa „zu Fuß erschließbare Umgebung”.
Vor nicht einmal 200 Jahren bestanden Innenstädte noch aus vielen kleinen Ladengeschäften, über denen oft ihre Eigentümer und Betreiber wohnten. Das Fehlen von Massentransportmitteln machte es ökonomisch sinnvoll, in verschiedenen Stadtteilen Schuster, Schneider, Metzger, Apotheken und andere Dinge zu haben. Alle wichtigen Dienstleistungen des Alltags waren fußläufig oder mit einem kleinen Radtrip erreichbar. Wenn moderne Architekten vom brandneuen Prinzip der walkable society in der intelligenten Stadt der Zukunft reden, kann ich mir oft ein Schmunzeln nicht verkneifen. Jeder Stadtplaner des Jahres 1850 hätte dieses Prinzip als selbstverständlich angenommen.
Menschen sind ein geschichtsvergessener Haufen, falls ich das noch nicht erwähnt haben sollte.

Je mehr Komplexifizierung wir betreiben, desto anfälliger werden unsere Gesamtsysteme werden. Wir werden nicht widerstandsfähiger mit zunehmender Vernetzung.

Je mehr Digitalisierung in eine Stadt eingebaut wird, je mehr Vernetzung erfolgt, desto klarer ist der Traum von der Megacity der Zukunft ein leuchtendes Beispiel für das Gesetz des Abnehmenden Ertrages.
Denn digitale Infrastruktur altert mit digitaler Geschwindigkeit. Was passiert, wenn ein Bug einen großen Patch erforderlich macht, um eine Sicherheitslücke zu schließen? Wie patcht man eine ganze Stadt?
Was geschieht, wenn sich das als unmöglich herausstellt, weil man dazu lebenswichtige Teile der Stadt lahmlegen müßte? Oder wenn eine neue Softwarelösung nicht mit der vorhandenen Hardware kompatibel wäre?
Dann müßte man einer Megacity quasi im Betrieb das Nervensystem herausoperieren und durch ein neues ersetzen.
Ich behaupte schlicht und einfach, daß ein solches Unterfangen unmöglich sein wird und bereits an den astronomischen Kosten scheitern wird. Aber auf Dauer kann man Sicherheitslücken nicht belassen in den Zentralservern. Was geschieht, wenn jemand eine ganze Stadt hackt?
Was geschieht, wenn jemand eine ganze Stadt als digitale Geisel nimmt, um damit die Regierung zu erpressen? Was ist mit der Regierung, wenn es sich um die Hauptstadt eines Landes handelt?

Viele Dinge sind noch möglich. Unsere technologische Traumzivilisation bröckelt bereits an allen Ecken und Enden. Aber noch ist sie da. Noch ist sie leistungsfähig, wenn auch in einem tendentiell abnehmendem Ausmaß.
Noch wäre eine Politik machbar, welche auf die Aktivierung aller brachliegenden Ackerflächen in Deutschland ausgerichtet ist. Ein Umschwenken auf den Erhalt von Boden statt seiner industriellen Ausbeutung. Wir können es uns nicht leisten, dieses wertvolle Gemeingut länger ungenutzt zu lassen oder den Kräften der Voodoo-Ökonomie.
Landwirtschaft bedeutet, das Land zu bewirtschaften. Sich um den Erhalt und die Qualität des Boden zu bemühen. Noch haben wir Zeit dafür, Dinge zu erlernen, die unsere Uroma noch gewußt hätte, die uns aber im Zeitalter industriellen Ackerbaus verloren gegangen sind. Natürlich geht es hier um eine Aktivierung dieses Potentials nicht im industriellen Maßstab. Keine Herbizide, Pestizide, schweren Geräte.
All das fällt aus, denn es gehört zum Falschen Morgen. Es gehört zum falschen Heute. Lösungen, die überhaupt keine sind.
Es ist egal, ob erst die Zulieferer für Ersatzteile aufhören werden zu existieren, oder ob ein zunehmend instabil werdender Ölmarkt die Versorgung mit fossilen Treibstoffen wegbrechen läßt. Vielleicht ist es nur irgendein verdammte kleiner Schalter, der kaputt geht und sich nicht mehr ersetzen läßt, weil dessen Hersteller nicht mehr liefern kann. Und der kann nicht mehr produzieren, weil ihm irgendeine Komponente fehlt, die wir nicht einmal kennen. Vielleicht Kupfer. Oder Silber. Oder womöglich ist der Hersteller der Platine pleite gegangen, auf der dieser kleine Chip sitzt, weil der Kunststoffhersteller ihn nicht mehr beliefert.

Das industrielle, globalisierte Netzwerk, das wir Zivilisation nennen, ist ein Gebilde, dessen Vernetzung inzwischen so unglaublich viele Schwachstellen aufweist, so viele kritische Komponenten, daß der Ausfall eines recht unscheinbaren Teilchens der Katastrophe Tür und Tor öffnet. Die Wahrscheinlichkeit für ein derartiges Ereignis beträgt genau Eins. Es ist keine Frage des Ob, nur eine Frage des Wann.
Die Komplexifizierung, die wir für Fortschritt halten oder für Innovation, diese Farbe, mit der uns das 21. Jahrhundert immer wieder als das großartigste der Menschheitsgeschichte gemalt wird, hat die Widerstandsfähigkeit unserer globalen Kultur bis zu einem Punkt geschwächt, an dem eine Pandemie unvermeidlich ist. Irgend etwas wird nachgeben, irgendwo eine Strebe brechen, ein Zahnrad ausfallen und dann wird die Zivilisationsmachine abrupt und womöglich sehr endgültig zu einem Halt auf freier Strecke gezwungen werden.

Bild 2: Frankfurt am Main, Alte Oper, um 1880
Das ist das Bild einer Stadt der Zukunft. Ob uns das gefällt oder nicht, ist nicht die Frage. Man beachte, daß es hier bereits eine Straßenbahn gibt. Sie hat halt nur 1 PS. Aber sie fährt.
Wikimedia Commons, Public Domain

Kassandra sagt: Es ist nicht möglich, unsere technologische Zivilisation, ihren jegliches menschliche Maß verspottenden Gigantismus, in das Wahre Morgen hinüberzuretten. Wir leben gar nicht in der Wirklichkeit. Wir leben aktuell alle in den sterbenden Resten eines surrealen Traums. Unser Bild von der Welt, in der wir leben, ist so sehr verzerrt und verdreht, daß es längst sehr oft die Ursache vieler Probleme darstellt, die es zu lösen vorgibt.
Es ist überhaupt nicht wünschenswert, dieses seltsame Monstrum, das den Planeten auffrißt, in eine Zukunft mitzunehmen, die man eine solche nennen kann. Es wird kein Happy Chapter für unsere Art zu leben geben. Es darf gar keins geben, wenn die Menschheit an sich noch eine brauchbare Aussicht auf eine echte Zukunft haben soll.
Lassen wir also alle Hoffnung fahren. Werfen wir die Idee über Bord, daß wir das, was wir jetzt haben, in irgendeiner nennenswerten Form werden retten können. Diese Idee ist nichts weiter als ein Rettungsring aus Beton, an den wir uns alle verzweifelt klammern und der uns letztendlich töten wird, wenn wir ihn nicht endlich loslassen. Der Weg vom Olymp herab mag unangenehm sein, aber er ist notwendig.

Wir müssen die Hoffnung aufgeben. Das Happy Chapter ist eine psychische Krücke, die unsere Überlebensfähigkeit zerstört.

Eine neue Kunst, ein neues Narrativ, muß endlich Gehör finden und sich viel lauter, viel deutlicher, viel klarer Gehör verschaffen. Es ist längst überfällig, den Trommelklang unserer sterbenden Zivilisation des fossilen Zeitalters mit neuem Sound zu übertönen.
In Bradburys Fahrenheit 451 flüchtet der in Ungnade gefallene Feuerwehrmann Montag aus der kontrollierten Stadtumgebung, der Plastikwelt der Propaganda. Schon die Begegnung mit der schönen Clarisse, die vom aktuellen Regime wenig hält und überraschend offen ihre Kritik äußert, hat erste Risse in der Fassade des treuen Staatsbediensteten erzeugt.
Nachdem eine alte Frau sich mit ihren Büchern verbrennen ließ, die ihr mehr wert waren, als ohne sie nur zu überleben, überwältigen Montag die Zweifel an der Richtigkeit des Systems völlig. Denn wenn jemand den Inhalt von Geschichten so sehr schätzt, sind sie dann nicht womöglich doch etwas wert?
In den Wäldern der Umgebung leben die Buchmenschen, zu denen Montag mit Clarisse flüchtet. Jede dieser Personen hat mindestens ein Werk der Weltliteratur verinnerlicht, Wort für Wort. Jeder von ihnen gibt es an einen Nachfolger weiter. Wie die Barden oder Druiden der keltischen Kultur oder die Geschichtenerzähler zu Homers Zeiten und noch früher, haben sich diese Menschen einen Teil der Welterzählung in ihren Köpfen gespeichert.

Bradburys Buchmenschen haben die Vergangenheit in ihren Köpfen und murmeln immer wieder die Worte ihrer Erzählung vor sich hin, um sie nicht zu vergessen.
Die Welt, die unaufhaltsam auf uns zu zieht, das Wahre Morgen, braucht Buchmenschen, die die Geschichte der Zukunft in ihren Köpfen haben. Außerdem hilft vor sich hin murmeln nicht länger. Es wird Zeit, mit dem Reden zu beginnen. Nicht in Wäldern, sondern auf der Bühne. Auf der Straße. Im Café. Überall. Laut, deutlich und gnadenlos.

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