Weihnachtsmanns Marschtritt

Kapitalismus macht seit anderthalb Jahrhunderten mit wachsender Begeisterung und Effektivität nichts anderes, als uns als Menschen Dinge wegzunehmen, sie aus der Gesellschaft herauszuschneiden. Gemeingüter werden privatisiert und diese Privatisierungen mit Gesetzen für legitim erklärt, um so neue Geschäftsfelder zu erschließen, dem Kapitalismus eine weitere Nische zu erlauben, die er plündern kann.
Während der Kapitalismus, die Kommerzialisierung immer größer wird, immer allumfassender, schrumpft die Gesellschaft dahin, verliert an Boden. So wie sie Gemeingüter verliert, verliert sie an Gemeinschaft und somit an Zusammenhalt. Mit den common goods geht common ground verloren, könnte man sagen.

Während unser Wirtschaftsystem immer reicher wird und mit ihm eine immer kleinere Anzahl von Individuen, wird die Gesellschaft als ganzes ärmer. Nicht nur metaphorisch, auch real und finanziell, denn alles, was früher einmal Gemeinschaft war, ist jetzt eine Dienstleistung, ein Service, dargeboten gegen eine geringe Gebühr von ihren Wohlfühlexperten, bitte zahlen sie per Kreditkarte oder Smartphone oder Paypal. Besten Dank.

Das tägliche Leben im kapitalistischen Westen ist Eintönigkeit und Langeweile. Tinder statt Straßencafe oder Tanzabend. Wir programmieren Fräsen und vergessen dabei mehr und mehr, wie sich der Meißel anfühlt in unseren Händen, die Steinsplitter, der Staub. Wir streichen nicht mehr über den Werkstoff selbst mit unseren Händen, fragen den Stein nicht nach seiner Geschichte, seinen möglicherweise eingebauten Fehlern und Makeln. Wir erforschen nicht mehr direkt. Überall schalten wir Vermittler zwischen uns und die Welt.

Weihnachtliche Solidarität als Spiegelbild der Gesellschaft. Trefflich in Szene gesetzt von Ralph Ruthe.

Dabei ist es nicht nur der Westen. Es ist überall. Das kommunistische China ist in keiner Weise weniger kapitalistisch als das Mutterland dieses Wahnsinns, die USA. Der einzige Unterschied ist das Ausmaß, in dem der Staat es sich gestattet, in die Wirtschaftsabläufe einzugreifen.
Ohne wirklich substanstiellen Sinn für Zusammengehörigkeit, ohne verbindendes Wir, ohne tiefere Bedeutung, beraubt jedes relevanten Gefühls für die Substanz der Welt, in geistloser Erschöpfung beschäftigt und in einer endlosen Jagd nach mehr und mehr Geld gefangen, das weniger und weniger Produktionsausstoß der unermüdlichen Maschinen zu kaufen vermag, taumeln wir elend dahin zu dudelnder Plastikmusik, so seelenlos wie ein Großteil aller anderen Dinge.
Alle Zeremonien und Brauchtümer, die früher Menschen verbanden und zuammenschweißten, sind lange schon meistbietend versteigert und wir bleiben zurück in der trostlosen Wüste des bloßen Kommerz.

Wer nicht hektisch damit beschäftigt ist, irgend etwas zu verkaufen oder zu kaufen, lungert nur rum, steht im Weg der im wahrsten Wortsinne geschäftig drängenden Menge. Selbst die Hand des Obdachlosen muß eine Zeitung halten, die er verkauft, sonst ist er ein störendes Element. Ein Ärgernis. Wie die Bettler. Die Protestierer. Diejenigen, die sich beschweren.
In treuer Ausführung der inzwischen längst verinnerlichten antisozialen Kälte werden sie angefeindet.
Die Geschäftigen starren furchtsam auf das Bild, das sie in diesen Erscheinungen sehen, bedroht und zitternd vor dem Gespenst des Abstiegs in die düsteren Tiefen einer längst entmenschlichten Gesellschaft. Der Geist der zukünftigen Weihnacht und alle sind sie Ebenezer Scrooge.

„Geh arbeiten!“, rufen sie empört und meinen damit: „Sei Teil des Ganzen“, was wiederum bedeutet: „Unterwirf dich. Roll auf den Rücken und gib auf. Füge dich, so wie ich es getan habe, und nenn es Leben oder Pflicht oder Tugend, so wie wir es getan haben.“
Weihnachtsmarkt. Wie glatt dieser Zynismus inzwischen klingt. Und wie wahr er ist.

4 Comments

  1. Ganz so apodiktisch ist es nicht. Natürlich kauft man Dinge, aber man kann auch verzichten und tut es dann auch oder man kauft etwas und weiß auch warum, meinetwegen, um es kreativ einzusetzen. Und selbstverständlich kann ein abgewogener Blick auf das Weihnachtsfest das Wesentlichere freilegen. Man muss es nur als Chance begreifen und diese nutzen und sich weder vom absoluten Kritiker oder vom absoluten Jasager bevormunden lassen. Mein Junge hat Lego bekommen, aber entscheidend war, dass wir die letzten zwei Tage damit permanent gespielt haben, ergo miteinander gelebt und Ideen entwickelt haben. Dabei passiert dann genau das, warum manche Marken auch Sinn machen, nämlich als gute Idee an sich. Lego ist eine solche Marke, weil es schlicht kreativ ist Bausteine auf immer neue Weisen zusammenzusetzen und man sich weder von Lego noch anderen vorschreiben lassen sollte, wie man dem, was man hat Sinn verleiht. Hartmut Rosa sprach einmal von Anverwandlung oder sich die Sache aneignen, zu eigen machen, nutzbar machen. Das geschieht definitiv. Man muss einem -Ismus auch nicht mehr Macht verleihen, als er hat. Wir Menschen handeln.

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    1. Und ich sage Euch: Der wahre Zweck von Lego ist es, die Stärke des Glaubens zu prüfen!

      😀

      Natürlich ist der Beitrag nicht apodiktisch. Er ist sogar recht genau das Gegenteil. Aber so ist mein subjektives Empfinden.

      Wir Menschen handeln.

      Meistens genau so, wie der -Ismus uns das vorschreibt.

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      1. – Natürlich ist der Beitrag nicht apodiktisch. –

        Schon diese Antwort symbolisiert, dass kein Widerspruch geduldet wird bzw. dieser nur als Gefälligkeit oder auf Antrag eingeräumt werden wird. Kann man so machen. Ich hebe mich da nicht ab, schreibe aber auch nicht soviel. Mein Hirn ist da einfach leer.
        Deine Texte sind der Hammer. Vielleicht kann man nur so schreiben, indem man irgendwo Mauern hinstellt. Ist ja auch ok.

        – Wir Menschen handeln. –

        — Meistens genau so, wie der -Ismus uns das vorschreibt. —

        Da kann man sich im Kreise drehen. Setzt man das dann gleich gleich? Der Mensch-Ismus? Wie /erfindet/ man Systeme, in die man sich anthropologisch immer schon rein gestellt hat? Ich weiß es nicht! Du erklärst das sicherlich in weiteren Beiträgen nebenbei auch noch. Nur Mut.

        Sollte das Lego selbst gebaut sein, verneige ich mich. Soweit sind wir hier nicht gekommen.

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        1. Das bin ich gar nicht. Das Konsumsystem duldet keinen Widerspruch. Wer nicht so sein will, ist böse. Oder ein Spinner. Oder so 😉

          Deine Texte sind der Hammer. Vielleicht kann man nur so schreiben, indem man irgendwo Mauern hinstellt.

          Ich danke herzlich. Und jaaaaa – irgendwo muß eine Mauer stehen. Die ziehe ich aber nicht selber. Jedenfalls gebe ich mir da Mühe. Aber manche Dinge sind eben nicht möglich, auch wenn andere Menschen sich das gerne herbeiwünschen, seien sie ÖKonomen oder Bundeskanzlerin.

          Ein frohes Neues Jahr auch an das leere Hirn deinerseits – das wird schon 😀

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