Das wahre Morgen

 

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Fahrenheit 284

„Humankind cannot stand too much reality.”
T. S. Eliot

Der bereits erwähnte Ray Bradbury hat außer seinen Mars-Chroniken eine weitere, sehr berühmte Geschichte erfunden. Es ist die von Montag.
Nicht der Wochentag, der sich allgemein großer Unbeliebtheit erfreut. Montag ist der Name eines Feuerwehrmannes und des Protagonisten des Romans „Fahrenheit 451″. Ein weiterer Klassiker der Science Fiction, ausnahmsweise auch angemessen verfilmt.
Bradbury nannte den Roman so, weil die Temperatur 233 Grad Celsius entspricht. Denn das ist die Temperatur, bei der gewöhnliches Papier Feuer fängt. Montag ist nämlich Feuerwehrmann. Der Unterschied ist, daß die Feuerwehr in seiner Zeit keine Brände mehr löscht. Sie legt sie. Der Job des Feuerwehrmannes Montag ist es, Bücher zu verbrennen.

Denn Bücher, so hat man in dieser Zukunft beschlossen, sind gefährlich. Sie können Menschen seltsame Dinge erzählen. Oder andere Dinge, mit denen diese Menschen nicht einverstanden sind. Oder womöglich Dinge, von denen manche Menschen sich in ihren Gefühlen verletzt fühlen könnten.
Natürlich enthalten sie auch Ideen und Ideen sind etwas ohnehin sehr Gefährliches.
Und so hat die Gesellschaft, in der der Feuerwehrmann Guy Montag seinem Beruf nachgeht, eines Tages unter andauernder Medienenbeschallung beschlossen, daß zuviel Nachdenken über zu viele Dinge einfach zu sehr anstrengt. Es ist schwierig und erfordert Fachkenntnisse und persönliches Interesse, um in dieser Situation einen Konsens herbeizuführen.

Es ist nicht die Regierung, die das Bücherverbot erfindet in dieser Gesellschaft. Es ist die Bevölkerung selbst. Zufrieden mit dem Konsum seichter Unterhaltungsberieselung ohne intellektuellen Tiefgang und in einer Sehnsucht nach Konsens, oder besser, nach Konformität, ist es die Bevölkerung, die von der Regierung verlangt, Bücher für illegal zu erklären.
Die Kernaussage von Bradburys Roman richtet sich nicht gegen eine zensurwütige Staatsmacht, sondern gegen eine Bevölkerung, die sich nicht länger bemühen will, ihre eigene Welt zu hinterfragen.
Natürlich folgt die Regierung dem Wunsch ihrer Bevölkerung durchaus nicht unwillig. Die bestellte Dystopie wird nur zu gern von denen umgesetzt, die die Fäden der Macht und Information in den Händen halten.
Der Feuerwehrmann Montag wehrt mit seinem Feuer Gefahren für die Gesellschaft ab, die gar keine sind, sondern nur als solche empfunden werden. Oder empfunden werden könnten, von wie wenigen Menschen auch immer.

Das Gegenstück zum heldenhaften Raumcowboy, zur alles erobernden Menschheit unter den Sternen, zur strahlenden Space Opera, ist die Dystopie.
Schon immer hat sich die Science Fiction mit der Gesellschaft beschäftigt, die sie vorgefunden hat. Wie andere Literatur auch.
Charles Dickens war sicherlich kein SF-Autor. Aber das hinderte ihn nicht daran, immer wieder die sozialen Verhältnisse seiner Zeit zu kritisieren. Der Mann, der niemals eine formelle Ausbildung erhalten hatte und dessen Vater im Schuldgefängnis landete, wurde zu einem der bekanntesten Autoren und Schreiber seiner Zeit und ist heute noch unter den meistgelesenen englischen Schriftstellern. Vermutlich wird das auch so bleiben, denn Dickens’ Geschichten sind zeitlos. Da hatte er Glück, daß er keine Science Fiction schrieb.
Auch Harriet Beecher-Stowe war kein SF-Autor. Das ist die Dame, die 1852 den Roman „Onkel Toms Hütte” schrieb. Zuerst als Fortsetzungsgeschichte erschienen, in einem dieser Heftchen aus billigem Papier, wurde die erste Auflage von fünftausend Büchern binnen zwei Tagen verkauft.
In den USA lagen die Verkaufszahlen im selben Jahr bei über dreihunderttausend, in Großbritannien bei über einer Million Exemplaren. Bedenkt man, daß die Bevölkerung der USA keine 30 Millionen betrug und gut die Hälfte dieser Menschen völlige Analphabeten waren, sind diese Zahlen um so erstaunlicher.
Der Erfolg setzte sich fort. Auch dergestalt, daß in den folgenden Jahren mehr als zwei Dutzend Gegenromane erschienen, die dem „Negerroman”, so einer der deutschen Untertitel, die Glaubwürdigkeit absprechen wollten.
Beecher-Stowe schrieb ihr Buch nicht, um die Sklaven zu befreien, weil dieses politisch brisante Thema in dieser Zeit langsam mehr und mehr öffentlichen Raum gewann. Ms Stowe schrieb ihr Buch als glühende Christin, wie man auch späteren Werken entnehmen kann. Die streitbare Dame war schlicht der Meinung, daß Neger eben auch Menschen sind und als solche weder versklavt werden noch unmenschlich behandelt werden sollten.
In der richtigen Zeit geschrieben und in der Abolitionisten-Zeitung National Era veröffentlicht, verwandelte sich ihre Kritik an den Lebensverhältnissen der Schwarzen innerhalb kürzester Zeit in politischen Sprengstoff. Präsident Lincoln soll sie bei einem Empfang mit den Worten begrüßt haben: “So this is the little lady who started this big war.”

Das war 1862. Die USA waren dabei, in zwei Staaten zu zerfallen, der Ausgang des Konflikts war ungewiß. In den weiteren Jahren des Bürgerkriegs sollten gut 600.000 Menschen ihr Leben verlieren, etwa zwei Prozent der Bevölkerung.
Der amerikanische Bürgerkrieg nahm das Grauen des ersten industriellen Krieges voraus, der ein halbes Jahrhundert danach Europas Abgang von der Weltbühne einleiten sollte.
Schnellfeuernde Waffen. Schützengräben und ausgehobene Stellungen. Massenschlachten mit tausenden von Toten binnen weniger Minuten.
Zwischen November und Dezember 1864 zog ein General der Nordstaaten namens William Tecumseh Sherman durch den Bundesstaat Georgia, zerstörte Telegrafenmasten und Felder, ließ seine Männer Eisenbahnschienen verbiegen. Als am 11. November 1864 die Unionstruppen Shermans die Stadt Atlanta verließen, ließ er diese vorher evakuieren und brannte sie dann nieder. Die Geschichte der Südstaaten hat ihm das immer wieder vorgeworfen.
Wir kennen diese Taktik als „Verbrannte Erde”. Die moderne Variante unterscheidet sich von ihrem Vorgänger nur dadurch, daß man heute die entsprechende Stadt vorher nicht mehr evakuieren ließe.
Das Zitat von Lincoln ist nicht historisch gesichert. Aber Bücher, so hätte Bradburys Feuerwehrmann vermutlich bestätigt, können eine überaus gefährliche Waffe sein.

Bild 1: Die gefährlichste Frau der Welt
Harriet Beecher-Stowe schrieb “Onkel Toms Hütte” und portraitierte damit das Elend der Sklaverei in einer sehr öffentlichen und unerwünschten Art und Weise, gerade als der öffentliche Diskurs über diese Frage in den USA an Lautstärke beträchtlich zunahm.
Im Grunde hat diese Frau den Bürgerkrieg angefangen, wenn man einer eher scherzhaften Bemerkung von Abraham Lincoln glauben darf.

Schon immer hat Literatur und SF-Literatur der Dystopie einigen Raum eingeräumt. In den 60er und 70er Jahren wimmelte es von ökologischen Katastrophen in der SF.
Harry Harrison schrieb „New York 1999″. In der überbevölkerten Stadt in den völlig überbevölkerten Staaten, unter smogverseuchtem Himmel und steigenden Temperaturen durch Klimawandel, schlägt sich der Held des Stückes mehr schlecht als recht durchs Leben. Der Detektiv und Polizist Andy Rusch wohnt zusammen mit dem pensionierten Ingenieur Sol Roth in einer winzigen Bude, in der Sol auf einem umgebauten Fahrrad genug Strom für ein bißchen Licht, den Fernseher und den Kühlschrank erzeugt.
Im Original heißt der Roman “Make room, make room”. Die Verfilmung datiert von 1973 und macht aus Andy Rusch den Detective Frank Thorn, gespielt von Charlton Heston, wie auch sonst einige Änderungen an der Geschichte vorgenommen wurden. Aber unter dem Titel “Soylent Green” ist der Film heute ein Klassiker der Öko-SF der 70er Jahre.
Die massenhafte Umweltzerstörung, wachsender Bevölkerungsdruck, grassierende Arbeitslosigkeit, alles ist dabei. Sogar der Klimawandel ist bereits präsent, und zwar in der Form „es wird wärmer”, was, wie wir inzwischen wissen, völlig korrekt ist.
Vielleicht sollte man in Zukunft nur Menschen zu Staatsführern wählen, die eine breite Palette an SF-Romanen gelesen haben. Das hätte uns womöglich einigen Ärger ersparen können.

Ich weiß nicht, ob Jimmy Carter dieses Buch je gelesen hat. Aber er war der erste und einzige Präsident der USA, der verschwenderischsten Nation auf diesem Erdball, der etwas von „Grenzen” erzählte in seiner Rede. Der Solarzellen auf dem Dach des Weißen Hauses anbringen ließ. Der dafür sorgen wollte, daß das Land weniger Energie verbrauchte.
Während Carter als dies tat, ging die Arbeitslosigkeit nach oben, denn die 70er Jahre waren die Zeit der Energiekrise. Üblicherweise beschränkt man sich heute auf das Jahr 1973 im historischen Rückblick. Die verdammten Araber, die den Ölhahn zugedreht haben. Eine politisch ausgelöste Krise also.
Doch seltsamerweise weisen alle Zahlen der damaligen Zeit klar aus, daß die Energiekrise keinesfalls mit der Aufhebung des „Embargos” durch die OPEC endete. Dieses Embargo, bei dem letztlich der Zufluß an Öl nur etwa um zehn Prozent gedrosselt wurde, dauerte lediglich von Oktober 1973 bis März 1974.
Trotzdem weigerte sich die Weltwirtschaft hartnäckig, danach auf den alten Kurs zurückzukehren. Die Zinsen erreichten unfaßbare 18 Prozent.
Würde die Federal Reserve in den USA heute die Hälfte davon auch nur andenken, die Weltwirtschaft bräche sofort unrettbar in sich zusammen.

Worte haben Macht und Narrative sind aus ihnen gebaut. Darum ist es enorm wichtig, die ganze Geschichte zu kennen.

Ich setze das „Embargo” absichtlich in Anführungszeichen, denn es war keines. Bei einem echten Embargo dreht man den Hahn zu.
So wie die Roosevelt-Administration im Jahre 1940. Japan hatte gerade Französisch-Indochina angegriffen, um China in einer tödlichen Umarmung zu umschließen und dessen Nachschubrouten zu kappen. Daraufhin verhängte die US-Administration ein Embargo für Öl, womit Japan, das selbst über kaum natürliche Ressourcen verfügt, die Pistole auf die Brust gesetzt wurde.
Bereits 1939 waren Handelsverträge mit Japan nicht verlängert worden, denn im asiatischen Raum begann der Zweite Weltkrieg nicht erst in diesem Jahr, sondern früher, und die USA waren darüber zunehmend sauer.
Etwas später folgte dann der “Export Control Act” mit dem der Präsident der USA ermächtigt wird, den Export von “military equipment, munitions, tools and materials”, also „Munition, militärischem Material, Werkzeugen und Ausrüstungsgegenständen” zu stoppen oder einzuschränken, sollte das “im Interesse der nationalen Verteidigung” für notwendig erachtet werden.
Und so kam erst kein Stahl mehr nach Japan, dann kein Stahlschrott, dann keine Ersatzteile mehr für Werkzeugmaschinen und viele andere Dinge mehr. Oder besser, weniger.
Ab 1940 floß auch kein Öl mehr nach Japan. Damals gab es genau eine Nation, die viel Öl hatte und förderte, und die hieß USA. Der größte Exporteur der Droge, auf die unsere moderne Zivilisation gebaut ist, zog die Daumenschrauben zu.
Die japanischen Militärs schätzten, daß ihnen weniger als zwei Jahre verblieben, um ihren Traum von der „Großostasiatischen Wohlstandssphäre” zu verwirklichen, wie das damals hieß.
Hinter dem blumigen Ausdruck verbirgt sich derselbe beschissen dystopische Mist wie bei einem Nazireich über ganz Eurasien. Nur sind die Nazis hier eben kleine Samurais mit Rassenwahn, keine amoklaufenden Arierpsychopathen. Ansonsten gleiches Spiel, gleicher Sprung in der Schüssel. Ab dem Zeitpunkt, an dem Präsident Roosevelt das Embargo verhängte, war der Krieg mit Japan keine Frage mehr des Ob, sondern nur noch des Wann.

Warum erzähle ich das alles?
Nun, ein gewisser Zusammenhang zwischen Energieverbrauch und dem, was wir gerne als „Wirtschaftswachstum” verkauft bekommen, sollte hier recht offensichtlich werden. Wieder einmal.
Denn die angeblich politische Energiekrise der 70er Jahre hielt bis zum Ende der Dekade an, da floß das saudische Öl schon längst wieder in Strömen.
Allerdings hatte ein Barrel im Jahre ’72 noch etwa 3 Dollar gekostet. Nur wenige Monate später waren es 12 Dollar.
Immer wenn ich so etwas schreibe, habe ich diesen Ökonomen im Ohr, der damals an einer Universität, die ich einmal besuchte, ernsthaft behauptete, der eigentliche Preis einer Ressource sei für den Alltag völlig irrelevant. Irgendwo in den geistig wirren tiefen der Wirtschaftswissenschaften findet sich wohl eine Formel, die beweist, daß eine Ressource jeden beliebigen Preis annehmen kann.
Unmittelbar denke ich an Weltraum-Brokkoli vom Ganymed, von Heinleins Farmern im All gezüchtet. Priceless.
Ich bin inzwischen zu der Überzeugung gekommen, daß der Professor damals eines dieser Weltraum-Reptilien ist, die ja bekanntlich die Welt beherrschen. Auf meinem Planeten kann er jedenfalls eine Weile nicht gewesen sein.
Ich erzähle diese Dinge auch für diejenigen, die nicht müde werden zu behaupten, daß Geschichte sich nicht wiederholt. Das ist gut, denn dann ist es vermutlich irrelevant, daß einem die beschriebene Vorgehensweise recht vertraut erscheint, wenn man ab und zu Nachrichten mitbekommt.
Der Staat, dem man aktuell das Öl abgedreht hat, heißt Nordkorea.
Nur für den Fall, daß hinterher wieder jemand völlig überrascht vor einer Kamera behauptet, „so etwas” habe man ja auf keinen Fall kommen sehen. Oder ahnen können. Ich sage jetzt schon mal voraus, daß genau so etwas passieren wird.

Ich weiß nicht genau, wann wir das echte Denken eingestellt haben in unserer Zivilisation. Aber es ist schon eine Weile her, und es wird schlimmer. Echtes Denken erfordert, sich mit Dingen auseinanderzusetzen. Sie zu hinterfragen. Wobei die Frage meistens lautet, ob das, was man so erzählt bekommt, denn auch stimmt.
Ob ein angebliches Ölembargo tatsächlich eines war und ob das wirklich der einzige Grund für den Verlauf der 70er Jahre war.
Aber wir denken meistens nicht mehr besonders gerne. Wir sonnen uns in den Erzählungen über unsere eigene Großartigkeit.
Die Wirtschaft wächst, die Industrie ruft die Revolution 4.0 aus – wobei keine Sau die Frage stellt, was aus den ersten drei Revolutionen eigentlich geworden ist.
Gut, Dampfmaschinen wurden irgendwann unmodern. Aber was ist denn zumindest mit Version 3.0 passiert? Die Frage wird ja wohl erlaubt sein.
Warum zur Hölle ist die Welt noch immer nicht von der Last der Arbeit befreit, weil alles die Roboter für uns erledigen, vom Putzen bis zum Rasenmähen?
Warum sind die Roboter, die man uns für ein Heidengeld heutzutage im Elektronik-Fachmarkt verkauft und die genau das können sollen, eigentlich so totale Vollversager, eine Schande ihrer Schaltkreise?
Wo sind die Porno-Androiden, die uns endlich der Mühe entheben, sich um einen Partner auch irgendwie emotional bemühen zu müssen? Denn wer ficken will, muß freundlich sein, wie ein altes chinesisches Sprichwort besagt.

Kann sich noch jemand an die Sensation des letzten Jahres erinnern, als der Gott der Go-Spieler des Planeten Erde von einer Maschine gedemütigt wurde?
Der elende Siliziumknecht namens Alpha-Go putzte seinen menschlichen Gegner Lee Sedol mit 4:1 vom Platz.
Es gibt Neuigkeiten von der Front. Überhaupt wird von dieser Front, der Künstlichen Intelligenz und dem Machine Learning, in letzter Zeit sehr viel berichtet. Das wiederum hat sehr viel mit der erwähnten Industrie 4.0 zu tun.
Die Neuigkeiten besagen, daß diese Maschine des letzten Jahres geschlagen wurde. Gnadenlos. Eine totale Vernichtung. Brutales, vollständiges Gemetzel. Kein Stich gemacht. Keine Scheibe Wurst vom Teller gezogen.
So ungefähr könnte man das beschreiben, was da ablief. Allerdings war der Gegner der Supermaschine des letzten Jahres kein Mensch. Es war ihr Nachfolgemodell.
Go-KI in Version 3.0, könnte man sagen. Mehr Omega-Go als Alpha.
Das Interessante an diesem Duell ist die Art des Zustandekommens. Hatte man dem Alpha-Modell noch ein paar zehntausend Partien von menschlichen Spielern zur Verfügung gestellt, damit Kollege Computer die in Ruhe analysieren konnte, hat der Nachfolger seine Kenntnisse anders erworben. Er hat gespielt.
Auf wesentlich einfacherer Hardware als sein Vorgänger laufend, wurde dieses KI-Neuralnetz – ich erfinde den Ausdruck einfach mal kurz – ganz simpel mit den Grundregeln des Spiels Go gefüttert. Dann ließ man es spielen. Gegen sich selbst. Nach drei Tagen hatten der Kasten knapp fünf Millionen Partien absolviert. Computer müssen halt zwischendurch nicht schlafen.
Nach diesen drei Tagen trat Alpha-Go Zero, so der Name des neuen Terminators, gegen seinen älteren Kumpel an – und gewann. 100:0. Totaler kann eine Niederlage nicht sein.
Go ist hier das ausgewählte Spiel, weil es wesentlich komplexer ist als Schach. Go ist mehr wie ein rundenbasiertes Strategiespiel, das ebenfalls mehrfach komplizierter ist als Schach. Was wiederum der Grund ist, warum Gaming-KI hier oftmals miese Ergebnisse erbringt.
Go erfordert auch Intuition. Instinkt. Einschätzung des Gegenübers. Eine Go-Partie zwischen guten Spielern ist auch immer ein psychologisches Ringen. Fallen müssen gestellt werden, Hinterhalte gelegt, Köder angeboten. Alles abgestimmt auf den jeweiligen Gegner.
Bisher waren Computer in so etwas miserabel. Alpha-Go Zero hat das geändert. Und dieses Ergebnis fand ohne menschlichen Einfluß statt. Es gab keine vorgegebenen Partien wie bei seinem Vorgänger. Zero hat seine Meisterschaft aus sich selbst heraus erschaffen. Kein Gott aus der Maschine. Stattdessen Denken in der Maschine.
Während eine Maschine also erstmalig echtes Denken gelernt hat, geht es uns Menschen mehr und mehr verloren.

Trotzdem hat all dieser angebliche Fortschritt nur zu Putzrobotern geführt, die an einer Fußbodenkante hängenbleiben und dann kläglich fiepend nach dem Herrn und Meister rufen, während draußen der Räsenmäher-Bot den Abhang hinunterstürzt und danach seine Selbstzerstörung einleitet, damit der Kunde einen neuen kaufen muß.
Der Spiegel-Artikel zeigt es recht deutlich, daß wir Menschen nicht mehr wirklich um Denken bemüht sind. Denn was da geschildert wird, ist ein großer Fortschritt auf dem Gebiet des Machine Learning. Es hat aber nicht zwingend mit Künstlicher Intelligenz zu tun. Wirklich schlau sind die Bots immer noch nicht. Jeder Zehnjährige mäht den Rasen besser.

Also haben uns die Roboter nur noch nicht von Arbeit befreit, weil sie es nicht können. Doch Halt!
Auch diese naheliegende Idee ist offensichtlich falsch. Denn überall haben inzwischen Maschinen Dinge in der Hand, die von Menschen erledigt wurden. Das war die Revolution 3.0 in der Industrie. Überall steuern heute Menschen mit Maschinenbaustudium Maschinen, die andere Maschinen steuern, die wiederum Maschinen bauen. Autos zum Beispiel.
Wenn man so etwas wie Alpha-Go Zero nimmt, dann kann man diese Leute demnächst auch getrost nicht mehr einstellen. Vermutlich spielt Zero nebenbei dann noch ein paar Runden Go, während es die gesamten Produktionslinien von VW steuert.
Damit ergibt sich aber ein gesellschaftliches Problem. Denn “Befreiung von Arbeit” bedeutet dummerweise auch Befreiung von Einkommen in unserer Zeit. Und ich möchte nicht, daß alle Maschinenbauingenieure anschließend Altenpfleger werden.
Außerdem bliebe da die Frage, wer denn eigentlich von der ganzen Wertschöpfung profitieren soll, wenn der VW-Konzern nur noch 500 Angestellte braucht. Die Antwort gibt die bisherige Entwicklung in diesem Bereich. Mein Tip ist jedenfalls, daß sich ziemlich wenig Leute sehr viel mehr Geld einsacken werden, als sie das ohnehin schon tun.

Dabei wäre die Grundidee gar nicht so schlecht, wie es auch die SF schon zeigt. Der Verteidigungscomputer Colossus reißt  die Macht an sich, verbündet sich mit seinem sowjetischen Kollegen Guardian und unterdrückt danach die Menschheit, indem er ihre Probleme löst. So wäre die Storyline des gleichnamigen Films, der übrigens von 1970 datiert. Die Menschheit verliert ihre angebliche demokratische Freiheit. Dafür zerstört sie sich nicht selbst. Das ist der Deal, den der Computer seinen Erbauern aufzwingt. Geht eigentlich, wie ich finde.
Es gäbe keinen VW-Dieselskandal, wenn die Entwicklungsabteilung bei VW von Alpha-Go Zero besetzt worden wäre.
Entweder hätte das Cleverchen eine Methode gefunden, Grenzwerte einzuhalten, die nicht mit Gesetzen kollidiert. Oder es hätte klipp und klar gesagt, daß es nicht geht.
Dann aber hätten die Politiker aller Couleur zugeben müssen, daß Grenzwerte eben nichts weiter sind als Wunschdenken.
Womöglich hätte Alpha-Go Zero aber auch nach etwa dreisekündigem Nachdenken verkündet, daß das Konzept fossil angetriebener Blechkisten völig steinzeitlich und außerdem global gemeingefährlich ist und hätte ein vernünftiges Gesamtkonzept vorgelegt, wie die Verkehrsplanung für die nächsten dreißig Jahre mal aussehen sollte.
Das würde aber den Vorständen großer Autokonzerne nicht gefallen, denn damit wäre klar, welche Existenzberechtigung diese angeblich so wertvollen Jobs eigentlich haben sollten in einer entwickelten Gesellschaft: Null.

KI-Neuralnetze könnten Mensch endlich von lästiger Arbeit befreien. Immerhin hat der Fortschritt uns das schon lange versprochen. Allerdings ergeben sich hier ein oder zwei Probleme, sollte diese Zukunft wahr sein. Viel mehr ergeben sich, sollte sie nicht wahr sein.

Sollten also jemals derartige Systeme von Menschen eingesetzt werden, dann mit Sicherheit nicht, um irgendwen von Arbeit zu befreien. Sondern nur, um die Wunschvorstellungen bestimmter Gruppen zu bestätigen.
Zuerst wird man die Neuralnetze mit unsinnigen Wunschvorstellungen „programmieren” und sie dann dazu bringen, zu lügen. Das ist etwas, was Computer noch nicht gelernt haben. Wir wissen alle, wohin das führen wird, dafür muß man jetzt kein HAL 9000 sein.
Menschen müssen beschäftigt sein. Exakt darauf laufen viele heutige Tätigkeiten hinaus. Auf Beschäftigung. Nicht etwa Arbeit. Industrie 4.0 in der immer wieder propagierten Jubelform kann niemals funktionieren, denn es würde die Gesellschaft sprengen. Denn Menschen, die alle keine Arbeit mehr haben, fangen womöglich an zu denken. Oder Dinge zu hinterfragen. Das muß unbedingt vermieden werden. Also explodieren Rasenmäherroboter auch in Zukunft im Garten.

Ein weiterer Tenor beherrscht die Narrative der heutigen Zeit. Neben Fortschritt, Innovation, dem Weg zu den Sternen und dem immer besseren Morgen ist Mensch außerdem im Zwang gefangen, alle Geschichten, die er sich erzählt, gut ausgehen zu lassen. Auch das ist eine Ausgeburt der modernen industriellen Zeit der letzten 200 Jahre.
Früher waren alle tot am Ende einer Romanze. Bei Romeo und Julia sterben die Leute wie die Fliegen. Heute fahren alle zusammen am Ende in den Urlaub. Bei Troja brannte am Ende die Stadt und bei Odysseus fiel zwanzig Jahre lang das Navi aus. Heute kriegt es nicht mal mehr Godzilla hin, eine einzige Stadt ordentlich von der Landkarte zu wischen, bevor man ihn erschießt, weil er keine Brückenmaut bezahlt hat.
Sowohl in der Literatur als auch in der Filmindustrie herrscht der Zwang zu dem, was die Hollywoodtypen und auch Autoren das “Happy Chapter” nennen.
Egal, wie düster die Geschichte ist, am Ende muß ein positiver Aspekt hineinkommen. Ein Lichtblick. Das neue, das bessere Morgen. Das falsche Morgen, denn diese Art Abschlußkapitel entsteht immer aus unrealistischem Wunschdenken heraus.
Diese Tendenz ist noch gar nicht so alt. In Soylent Green stellt sich am Ende heraus, daß es Menschenfleisch ist, aus dem das Produkt besteht. Der Mensch frißt sich selbst auf. Sehr symbolisch. Und gruselig. Außerdem konsequent.
In „Planet der Affen” gewinnen die Menschen auch nicht. Der Atomkriegsfilm „The Day After” bekam 1983 in den USA so viele miese Kritiken, weil der Hauptdarsteller am Ende weinend vor der Asche sitzt, die einmal der Ort war, an dem sein Haus stand. Außerdem sterben alle anderen an Strahlenkrankheit und werden nicht gerettet. Fast sah es so aus, als hätte Amerika den Krieg gar nicht gewonnen.
Das sowjetische Gegenstück „Briefe eines Toten” wurde im Westen kaum eines Blicks gewürdigt. Ein Professor und Akademiemitglied beschreibt in Briefen, wie es zu dem Krieg kam, der ihn als Überlebenden in die Abwasserkanäle Moskaus verbannt hat. Ein Computerfehler. Sieben Sekunden lösten den Krieg aus. Weil eine Sekunde fehlte, ging die Welt verloren. Die Perspektive ist postapokalyptisch. Es gibt nichts mehr zu retten, der Krieg ist vorbei.

Das änderte sich aber in der SF der 80er Jahre deutlich. Das Publikum war mehr und mehr der Überzeugung, daß seine Wünsche im Vordergrund stehen sollten und daher ein Film gefälligst ein Happy End zu haben hat. Nicht zufällig war das exakt die Predigt, die Präsident Reagan der Welt und seinen Amerikanern hielt. Eine Veränderung der Welt breitete sich in der Kultur aus und sie hatte Folgen.
Der Zwang zum Happy Chapter führte zum geradezu lächerlichen Ende von „Blade Runner”, dem Film, mit dem Harrison Ford endgültig seinen Ruhm festigte, der mit Star Wars begonnen hatte.
Am Ende des Films fährt der ermittelnde Detektiv und Auftragskiller Rick Deckard mit der Frau seiner Träume doch tatsächlich ins Grüne. Irgendwo außerhalb der düsteren, dunklen Szenerie der Stadt Los Angeles im Jahre 2019. Es ist schmutzig, überbevölkert, hoffnungslos und vor allem sagt eine der Darstellerinnen zu Detective Deckard den Satz: „Glauben Sie, ich würde in diesem Loch arbeiten, wenn ich mir eine echte Schlange leisten könnte?”
Denn Tiere aller Art sind in dieser Zukunft ausgestorben. Die Tyrell Corporation baut sie nach, als genetische Züchtung. Auch Menschen züchtet dieser Konzern, denn diese Replikanten erschließen neue Welten, die dann von Kolonisten besiedelt werden sollen. Sie sind Werkzeuge, Rechte haben sie keine.
Blade Runner ist ein großartiger Film, damit hier keine Zweifel aufkommen. Was daran liegen mag, daß die Romanvorlage, die den Film inspirierte, von einem der vielleicht schwierigsten und vielschichtigsten Autoren der SF stammt, nämlich Philip Kindred Dick.
Die Atmosphäre im Film mischt den Krimi des Typs Film Noir mit SF- und Cyberpunkelementen, die ganze Geschichte wirft eine Menge ethischer und moralischer Fragen auf, die Szenarien sind stimmig wie die Musik von VanGelis. Aber es ist ganz eindeutig eine Dystopie.
Trotzdem fahren am Ende der Detective und seine Geliebte – die übrigens eine Replikantin ist – in der absolut sinnlosen Endszene aus der Stadt hinaus in einer nette, lauschige Umwelt, um…das verrät uns der Film nicht, aber ich vermute was versaut Biologisches.
Diese ganze Szene wurde nur angestrickt, weil dem Testpublikum in den USA das ursprüngliche Ende nicht gefiel. Problem dabei ist, daß es nicht zum Film paßt, den Helden in den Sonnenuntergang reiten zu lassen, wenn man diese Sonne in keiner Szene vorher gesehen hat. Das liegt am Smog über der Stadt. In welche Natur möchte man bitte flüchten, wenn selbst der Besitz heute noch selbstverständlicher Materialien wie Leder als Kapitalverbrechen gilt?
Das Töten eines Insekts zieht psychiatrische Zwangsbehandlung nach sich in dieser Gesellschaft. Denn es gibt keine Natur mehr, die der Rede wert wäre. Als es soweit war, haben die Konzerne dafür gesorgt, daß jeder Mißbrauch von Tieren und Pflanzen unter drakonische Strafen gestellt wurde.
Solcher Art ist die Welt, in der Detective Deckard leben muß. Da ist keine Natur um die Städte herum, in die man flüchten könnte. Wenn alles so schön grün ist, warum sollten dann Kolonisten auf andere Welten auswandern?

Bild 2: Wissen, wann man aufhören muß
“Matrix” von 1999 war der vermutlich coolste Film aller Zeiten und Welten, bevor Heath Ledger den Joker gespielt hat. Die Trickeffekte des Films waren maßgebend für eine ganze Generation an Filmen und PC-Spielen. Die Darsteller waren gut. Dann mußte Hollywood unbedingt eine Fortsetzung drehen. Warum haben die nicht die rote Pille geschluckt?
Screenshot aus dem Film, alle Rechte  bei Warner Home Video

Heute haben wir dystopische Filme in rauhen Mengen. „Matrix” war 1999 wohl der erste in dieser Reihe.
Der erste Teil der Matrix-Trilogie war ein klasse Beispiel für Actionkino vom Allerfeinsten, der vermutlich coolste Film, seitdem Charlton Heston den Brian gespielt hat.
Kugeln an sich abprallen lassen ist langweilig. Kugeln mit einer Handbewegung aufhalten, dabei unfaßbar korrekte Mäntel und scharfe Sonnenbrillen zu tragen – das ist der Gipfel der Coolness schlechthin.
Der Held lernt es, den Code der Matrix zu sehen und zu manipulieren und wird so innerhalb der Simulation zum gottgleichen Überwesen. Er nimmt den Kampf auf gegen alle Agent Smiths der simulierten Welt und…ja, wir wüßten es nicht.
Am Ende bliebe dem Zuschauer hier die Last des Denkens nicht erspart, denn es ist ein offenes Ende. Man müßte sich überlegen, wie die Geschichte weitergeht. Gut oder schlecht? Werden die Computerprogramme eine Gegenwehr finden?
Die Möglichkeiten sind zahlreich.
Stattdessen machte Hollywood den Fehler, dem Kinogänger die weitere Geschichte unbedingt auch noch erzählen zu müssen. Sobald etwas nur annähernd kommerziell erfolgreich ist, wird in pathologischer Zwangshandlung unbedingt ein weiterer Teil ins Kino gebracht. Warum sollte man der Phantasie auch Raum lassen für irgendwas.
Und so wurde Matrix ein Opfer des Zwangs zum Happy Chapter.
Am Ende wird alles neu gestartet. Das frühe 21. Jahrhundert, das nur noch als neurale Simulation in einer Computermatrix existiert und in dem meine Bambushütte am Rande der Gesellschaft steht, in der ich gegen den Siegeszug des Vollidiotentums innerhalb der Gesellschaft protestiere, wird einfach per Reboot aufgelöst und alles ist wieder toll.
Der vorher mühsam zum prophezeiten Helden herangereifte Keanu Reeves steht da und rettet die Welt gar nicht. Er startet sie neu, damit sie wieder so ist wie vorher. Und am Ende ist dann alles tatsächlich alles wieder so wie vorher. Sonnenaufgang über Manhattan. Simulierter Sonnenaufgang.
Warum die Maschinen in dem Moment Frieden mit der Menschheit schließen sollten, in der sie die elenden Reste dieser Rasse endlich vor der Flinte haben, ist mir ein Rätsel. Warum jemand gerettet sein soll und der Held ein Held, wenn am Ende immer noch alle Menschen der Erde als Batterien für die Roboterzivilisation dienen, die Mensch selbst erschuf, ist mir auch ein Rätsel.
Hollywood hat einfach irgendwann verlernt, wann man mit der Erzählung einer Geschichte besser aufhören sollte. Nur damit niemand Gefahr läuft, selber was denken zu müssen.

Es gab auch immer wieder Neuverfilmungen von Klassikern der SF in den letzen zwanzig Jahren. Und sie waren alle schlecht oder maximal hundmiserabel.
Das Remake von „Die Zeitmaschine” ist zu blödsinnig, um mehr darüber zu sagen. Die „Reise zum Mittelpunkt der Erde” von 2008 verwandelt die bekannte Geschichte in ein digital aufgemotztes Spektakel, in dem alle paar Minuten irgendwer abstürzt, irgendwas irgendwen jagt oder etwas explodiert. Die „modernisierte” Version der ganzen Geschichte ergibt den Film „Core”. Alleine die Verne-Verfilmung von 2008 hatte ein Budget von 80 Millionen Dollar.
Keine dieser Neuinterpretationen oder Remakes, wie man die künstlerische Totaldumpfheit euphemistisch nennt, hält einem Vergleich mit der Version aus dem Jahre 1959 stand. Hier ziehen anständige Geologen noch mit Rucksack und Mantel los und machen sich beim Klettern die Hände schmutzig, statt in einer sterilen Kapsel auf Knöpfe zu drücken und auf Displays zu starren.
Der SF-Film „Andromeda”von 1971 ist ein großartiges Ding. Die moderne Version von 2008 hat schon in der Storyline nur sehr wenig mit dem Originalroman zu tun, der in diesem Falle von Michael Crichton ist. Jüngere Kinobesucher kennen den durch „Jurassic Park”. Übrigens auch so eine Fortsetzungshure der Filmemacher in Kalifornien. Der tote Dinosaurier wird so lange geklont, bis er bricht.
Der „neue” Andromedafilm ist auf jeden Fall eine absolute Katastrophe, die man ohne großartige Übertreibung uninspirierten Plastikscheiß nennen könnte.
Es gibt weitere Beispiele, nicht nur aus dem Bereich SF. Aber die ganzen neumodischen Adaptionen alter Vorlagen sind entweder pessimistischer, düsterer und vor allem langweiliger. Oder sie zeigen eine kalte, mechanisierte, steril wirkende, irgendwie leblose Wiedergabe eines Stoffes, den man schon kennt. Sie haben nicht Inspirierendes mehr. Aber am Ende geht alles gut aus. Mit Sicherheit.

Zunehmend gleicht unsere Gesellschaft der in Bradburys ‘Fahrenheit’. Geistloses Plastikgedudel in endlosen Wiederholungs-schleifen. Alle nehmen die blaue Pille.Täglich.

Es ist überall dasselbe Symptom. Niemand macht etwas Neues. Niemand traut sich an so etwas heran, denn es könnte kommerziell nicht erfolgreich sein. Überall wird nur altes Zeug wiedergekäut und dann als neu und innovativ über den hirnbetäubten Zuschauer erbrochen.
In endloser Nabelschau mit Ringelreihen tanzt unsere Zivilisation um sich selbst und holt sich auf ihre Großartigkeit permanent einen runter.
Wie die Gesellschaft eines Bradbury haben wir längst oft keine Lust mehr, an der Oberfläche zu kratzen. Warum neue Drehbücher, wenn man ein altes mit Spezialeffekten aufmöbeln kann und gleichzeitig ein unfaßbar wichtiges Gedankenmodell zu propagieren. Nämlich, daß niemand etwas tun, sagen oder schreiben darf, das womöglich dazu geeignet ist, andere zu verletzen. Nichts darf in Bild oder Wort verbreitet werden, daß irgendeiner neunzehnjährigen Collegestudentin womöglich ihre zarten Schneeflöckchengefühle ramponieren könnte.
Der Mais im Kino muß frei sein von Gentechnik und die Butter aus Pflanzen. Kein Tier wurde bei diesen Dreharbeiten verletzt oder mißhandelt. Als könnte man das nachprüfen.
Aber das will ja auch keiner. Wir wollen nur immer wieder versichert bekommen, daß alles gut ist. Das unsere Wünsche gehört werden und berücksichtigt, so vollkommen absurd die Gedankenwelt ihrer Geburt auch sein mag. Allein das verhindert, das Dinge geprüft werden. Genderblödsinn muß wissenschaftlich sein, weil alle, die damit zu tun haben, das wollen. Und außerdem ist es ja inzwischen ein Fach, das an einer Uni unterrichtet wird.

Stimmt. Aber warum?
Auch Theologie wird an Universitäten unterrichtet, aber damit ist Gottes Existenz nicht bewiesen. Ich habe mich schon immer gefragt, warum Märchengeschichten und ihre Interpretation für erwachsene Märchenerzähler ein Universitätsfach sein sollen. So etwas gehört in den Esoterikladen. Oder eine eigene Schule.
Wenn das Bundesverfassungsgericht beschließt, daß ein drittes Geschlecht erforderlich ist auf Formularen, habe ich damit keinerlei Probleme. Intersexualität ist sehr wohl medizinisch und genetisch greifbar.
Sechzig auswählbare „Geschlechter” bei Facebook sind Ausdruck hysterischen Wahnsinns und einer offensichtlich zu niedrigen Anzahl an geeigneten Therapieplätzen für Personen, die das für wichtig halten. Es gibt auf diesem Planeten keine hermaphroditischen Riesenkrokodile vom Uranus, auch wenn manche Leute vielleicht überzeugt sind, eines zu sein.

Narrative müssen geprüft werden. Immer wieder. Und sie müssen dieser Überprüfung standhalten.
Papier entzündet sich gar nicht bei 451 Grad Fahrenheit, wie der Romantitel behauptet. Was sich bei dieser Temperatur entzündet, ist Viskoseflies. Also Baumwollgewebe. Das kann man auch papierdünn machen und bedrucken, nur ist das eben nicht der reguläre Fall für eine Buchproduktion. Eher in der Modeindustrie.
Auch die Skalierung ist falsch, denn es sind nicht Fahrenheit, sondern 450 Grad Celsius. Vermutlich hat Bradbury damals irgendwo nachgeschlagen. In einem Handbuch vermutlich, denn Wikipedia gab es noch nicht. Er hat einen falschen Wert herausgesucht und diesen dann in der falschen Skala übernommen.
Die Entzündungstemperatur von normalem Papier, wie es in meinem Bücherregal steht, liegt bei etwa 360 Grad Celsius, das wären dann rund 680 Grad Fahrenheit.

Abraham Lincoln wollte die Sklaverei überhaupt nicht beenden oder die Sklaven unbedingt befreien. Das ist nur das, was man heute gerne oberflächlich erzählt bekommt.
Lincoln wollte die Union erhalten, um jeden Preis. Denn hätte er die Sezession des Südens zugelassen, wäre die Geschichte der USA beendet gewesen.
Der Befehl zur Zerstörung aller öffentlichen Gebäude und sämtlicher Dinge, die dem Feind nützlich sein könnten, kam ursprünglich gar nicht von William T. Sherman. Er stammte von John Bell Hood, General der Südstaaten und Kommandant der Stadtverteidigung des belagerten Atlanta. Bis zum 1. September 1864. An diesem Tag befahl General Hood den Rückzug seiner Truppen und erteilte seinen Zerstörungsbefehl. Daraufhin übergab James Calhoun, der Bürgermeister der Stadt, Atlanta an die Truppen der Union. Und so fiel Atlanta an die Yankees.

Niemand prüft mehr etwas nach, denn er könnte feststellen, das manche Dinge gar nicht richtig sind und diese Erkenntnis könnte unangenehm sein.
Solche Nationen bauen dann am Ende Marssonden, die sich in den Boden rammen, weil in ihrer Software gleichzeitig Meter und Fuß, Zoll und Zentimeter benutzt worden sind. So ist das, wenn man sich nicht auf wissenschaftliche Standards einigen kann oder sich keiner dran hält, weil er sein Weltbild mit Fahrenheit und Füßen für maßgeblich hält. Mit dieser Methode geistiger Ausgeklinktheit kann man ganze Zivilisationen in den Boden rammen.

Ab 1967 zensierte der Verlag Ballentine Books das Werk von Bradbury erheblich. Aus einem „betrunkenen Mann” wurde ein „kranker Mann”. Wörter wie „(Zur) Hölle!” und „Verdammt!” wurden ebenso gestrichen wie „Abtreibung”. Das nannte man nicht nicht etwa Zensur. Das ist Bereinigung, im Verlagsenglisch expurgation.
Es ist deshalb keine Zensur, da die jeweiligen Betreiber hier streng ökonomischen Gesichtspunkten folgen.
Alles, was irgendwie unangenehm ist, könnte ja eventuell die Verkaufszahlen eines wie auch immer gearteten Werks beeinflussen, und zwar negativ. Also muß alles gestrichen werden, was irgendwen eventuell verletzen oder empören könnte – wie das Wort Abtreibung beispielsweise. Man benutzt einfach ökonomische Ideologie als Vorwand, um ein Werk weichzuspülen.
1987 wurde in Florida in einem Schulbezirk ein Zensursystem eingeführt, in dem Bücher in drei Kategorien eingeteilt wurden: Frei zugänglich, Nur eingeschränkt und “to be removed”. Bradbury landete in Kategorie Drei, wegen „vulgärer Sprache”.
1992 wurden  an einer Schule in Kalifornien teilgeschwärzte Kopien seines Buchs an Schüler ausgegeben. Gestrichen waren alle „obszönen” Ausdrücke.
In beiden Fällen wurden diese Maßnahmen aufgrund öffentlich werdender Proteste zurückgezogen.
Im Jahr 2006 hingegen verlangten Eltern einer Schülerin der 10. Klasse, das Buch von der Leseliste zu streichen, da es sie in ihren religiösen Gefühlen verletze. Denn eines der Bücher, die in Fahrenheit 451 in Flammen aufgehen, ist die Bibel. Überhaupt gefiel den Eltern die Darstellung von Feuerwehrmännern und Christen nicht. So ändern sich die Zeiten.

Geschichte bewegt sich nicht zwingend in Kreisen strenger Wiederholung. Aber trotzdem ist sie zyklischen Charakters.

Frühe Kinofilme wurden auf Zelluloid gebannt, einem neuen Material, das zuerst die vorher benutzen Glasplatten bei Photographien ersetzte und dann seinen Siegeszug in der Filmindustrie antrat, da es den Anforderungen an ein solches Material in vielen Punkten perfekt entsprach. Allerdings war es feuergefährlich. Der Entzündungspunkt von Zelluloid liegt bei nur 140 Grad Celsius. Daher wurde es später von Acetylcellulose ersetzt, die ist schwer entflammbar. Ein Biokunststoff übrigens. Im Grunde sehr fortschrittlich.
Echtes Denken ist wie Zelluloid. Es kann brennen. Manchmal wird jemand verletzt, in welcher Form auch immer. Aber wir sollten trotzdem nicht damit aufhören. Natürlich sollte man einmal gemachte Fehler nicht wiederholen. Wie Zensur beispielsweise. Oder Bücherverbrennung. Öffentlich immer nur so zu denken, daß man niemanden damit trifft, ist idiotisch. Es ist Selbstmord aus Angst vor dem Tod.
Echte Worte, echte Narrative treffen immer irgendwen. Oft auch den Richtigen.

Irgendwann wird man darangehen, Shakespeare zu revidieren, damit sich jugendliche Liebespaare nicht auf Balkonen selber vergiften. Und dabei geht es bei Romeo und Julia doch nur ums Ficken. Aber das darf man ja so nicht sagen, das ist sexistisch. Außerdem ist Julia minderjährig, jedenfalls nach amerikanischer Auffassung. Würde ich so etwas an einem College nach Originalmanuskript inszenieren wollen, der Shitstorm auf Twitter wäre mir sicher. Empörte Sozialgerechtler würden mich aus dem akademischen Amt mobben. Natürlich noch bevor es jemals zu einer Aufführung käme.
Die wiederum würde dann umgeschrieben. Wahrscheinlich treffen sich Romeo und Julia dann auf Tinder, jeder bestellt eine Pizza für den anderen, natürlich glutenfrei und mit vegetarischem Belag. Der eine Pizzabote wäre ein einbeiniger schwuler Kriegsveteran, der andere ein schwarzer Transgender. Und dann essen die beiden Liebenden jeder für sich, allein vor der Webcam, während der andere zusieht.
Wäre das nicht spannend?

10 Comments

    1. Guter Karton 😀
      Allerdings ist “Too bad they didn’t make any sequels” ja auch wieder falsch. Diskontinuitäten

      Und nach Lesen meines Beitrags sollte auch klar sein, warum es niemals ein Sequel gab 😉

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  1. Ich schäme mich fast, dass ich wie ein Fanboi klinge, aber das ist einfach nur stark:

    “Echtes Denken ist wie Zelluloid. Es kann brennen. Manchmal wird jemand verletzt, in welcher Form auch immer. Aber wir sollten trotzdem nicht damit aufhören.”

    Spread the word! 😀

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    1. Ich finde es auch total unerträglich, wenn ich mal ein bißchen bejubelt werde 😀
      Verbreite Er das Wort, das ist mir durchaus recht.

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  2. Da “Blade Runner” (einer meiner Lieblingsfilme) schon genannt wird und über Sequelitis gesprochen: “Blade Runner 2049” ist ein sehr guter, sehr gelungener Film, keine dumpfe mehr-vom-Gleichen-Fortsetzung, sondern auch alleinstehend ein Klasse Film mit eigenen Ideen, eigenen Stärken, Themen, und (ja, auch das) eigenen filmischen Missgriffen, wie der erste Film sie auch hatte. Ich würde aber sogar behaupten, beide gesehen zu haben, verändert den Blick auf den ersten Film und macht ihn vollständiger und evtl. noch ein Quäntchen besser.

    Das nach meiner ersten Reaktion auf die Ankündigung des Nachfolgers, die im wesentlichen aus “Nnngh, warum, warum, warum?! NEIN!” bestand.

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    1. Ach…du…heilige…
      Könnten mich die Angehörigen meiner Spezies bitte endlich von diesem Planeten abholen? Ich weiß nicht, was ich gemacht habe, um hier im Exil zu landen, aber holt mich bitte ab!

      Bei mir bewegen sich übrigens beide Twitters?
      Aber ich lasse das mal so stehen…

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      1. Das heißt doch Tweets, nicht Twitters – alter Mann 😉

        Ich bin dann auch bereit, könnt mich hochbeamen – hab meine Lektion gelernt – was auch immer ich verbockt habe…

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