Das wahre Morgen

– VIII –

Der Mond ist eine rauhe Geliebte

“Never underestimate the power of
human stupidity.”
Robert Heinlein

Natürlich dürfen in der Geschichte der Science Fiction auch die Frauen nicht unerwähnt bleiben. Denn wenn H. G. Wells und Jules Verne die Großväter des Genres sind, dann ist Mary Shelley auf jeden Fall die Oma.
Ihr „Frankenstein” ist inzwischen auch mehr als einmal verfilmt worden, im Original erschien das Werk anonym im Jahre 1818. Insofern ist Ms Shelley möglicherweise sogar die Uroma der SF. Der Untertitel des Romans ist „Der neue Prometheus” – über den Kerl hatte ich ja auch schon mal etwas geschrieben.
So wie der alte Prometheus den Göttern der Sage nach das Feuer geklaut hat, maßt sich der Mensch in Shelleys Roman an, Leben zu erschaffen aus unbelebter Materie. Oder in diesem Falle, ehemals lebender Materie, denn das berühmte Monster wird ja aus diversen Einzelteilen zusammengestrickt.
Der Wissenschaftler Frankenstein erzählt selbst seine Geschichte, die auch gleichzeitig Mahnung an die Zuhörer ist. Denn natürlich kann der Erfinder sein Werk nicht kontrollieren. Je nach Verfilmung wird er sogar ihr Opfer.
Shelley erinnert die aufblühende wissenschaftliche Gesellschaft ihrer Zeit daran, daß man nicht alles tun sollte, nur weil man sich dazu in der Lage sieht. Das manche Dinge vielleicht besser unbenutzt bleiben sollten, auch wenn die Erforschung ihrer Möglichkeit sehr wohl faszinierend sein mag.
Im heutigen Zeitalter von genetischer Nanotherapie, pränataler Optimierung und möglicher Klonierung des Menschen erhält ihre Vision des Monsters aus der Retorte eine ganz neue Aktualität.

Auch ein weiterer Vertreter der SF sollte hier nicht unerwähnt bleiben. Nämlich – nach den Briten Shelley und Wells und dem Franzosen Verne – der Deutsche im Bunde. Kurd Laßwitz.
Der schrieb 1897 einen Roman namens „Auf zwei Planeten”. Diese beiden Welten sind Erde und Mars und hier kommt es zu einem Erstkontakt zwischen den Marsianern und den Menschen. Einem vorerst friedlichen Erstkontakt, im Gegensatz zum Ansatz von Wells. Zudem war der deutsche Schreiberling studierter Physiker und Mathematiker und griff in seinen Zukünften wesentlich weiter voraus als seine Kollegen. Außerdem schneidet Laßwitz sehr viel stärker gesellschaftliche Themen an.
Nach ihm ist der bedeutendste Preis benannt, den ein SF-Schreiber deutscher Sprache gewinnen kann. Denn der bereits erwähnte Hugo-Gernsback-Award geht nur an englischsprachige Schriftsteller.
Die elenden Angloamerikaner haben davon sogar zwei. Der andere Preis ist der der Nebula Award. Der Nebula  unterscheidet sich vom Hugo dadurch, daß er ein Kritikerpreis ist. Der Hugo wird dagegen vom Publikum verliehen, also denjenigen, die SF-Romane auch lesen. Was diese Leute generell von beruflichen Kritikern unterscheidet.
Der erste Gewinner des Nebula-Award war im Jahr 1965 ein Mann namens Frank Herbert. Das Buch hieß Dune. Zu diesem quasi gilgamesch-mäßigem Epos der SF muß ich nichts weiter sagen. Außerdem würde der Platz hierzu nicht ausreichen. Über den Wüstenplaneten Arrakis kann man durchaus bei einer oder zwei großen Schalen Tee ein gepflegtes Wochenende debattieren, wenn einem der Sinn danach steht. Insgesamt ist es einer der größten Weltentwürfe der Science-Fiction-Literatur, die ich kenne.
So wie sich jeder Autor von Fantasy von übernächtigten Klappentextschreibern unweigerlich mit Tolkien vergleichen lassen muß, bleibt der Vergleich mit Herbert keinem SF-Autor erspart, dessen Roman länger als 300 Seiten ist.
Eventuell wird der Fantasy-Schreiber auch mit Robert E. Howard verglichen, falls der Klappentextschreiber nicht nur schlaflos ist, sondern auch noch unter Drogen steht und das deshalb für eine völlig geniale Idee hält, auf die noch niemand vor ihm gekommen ist.
Mr Howard ist übrigens der Mann, dem wir das Universum von Conan verdanken. Ja, genau –  der Conan. Conan der Cimmerier, besser bekannt als Conan der Barbar. Der Urvater aller muskelbepackten Schwertschwingerfantasy mit halbnackten Frauen auf dem Cover. Eine Mode, der sich in den 40er bis 60er Jahren auch die SF anschloß.

Fantasy, so ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal, beschreibt immer Welten, von denen sowohl Autoren als auch Leser wissen, daß sie nirgendwo reale Existenzberechtigung aufweisen. Diese Entwürfe benötigen keine Wissenschaftlichkeit. Niemand fliegt hier zu den Sternen – jedenfalls nicht, so weit ich das Genre kenne – und niemand führt hier tiefgründige Gespräche über die philosophischen Untiefen von Sein oder Nichtsein.
Die Schwerter sind nicht aus Licht, sondern aus ordentlichem, handgetemperten Stahl bester Güte. Was die Muskeln der Träger erklärt, denn so ein Ding schleppt man nicht ständig mit sich herum, ohne breite Schultern zu kriegen.
Völlig üblich ist hingegen in der Fantasy die Existenz von Magie in den jeweiligen Welten. Zauberer und Magier mitsamt ihren Tricks und Kniffen sind geradezu essentielles Beiwerk solcher Geschichten. Darum ist Tolkien auch Fantasy. Weil Gandalf.

Die Science Fiction hingegen findet üblicherweise in Welten statt, die zumindest in gewisser Weise aus der heutigen Welt entstanden sind, also einen Wahrscheinlichkeitsgehalt haben.
Deswegen existiert auch ein großer Unterschied zwischen den Romanen des “Golden Age” und späteren Werken. Während man vorher noch unbekümmert mit Überlichtgeschwindigkeit durch die Galaxis ballert, wird die Sache im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts deutlich technischer.
Die SF entsandte jetzt Generationenschiffe ins All. Wenn eine Reise ein paar tausend Jahre dauert, muß man halt eine ganze Welt mitnehmen zum Ziel. Das erwies sich aber als unpraktisch, denn was pasiert, wenn die Bewohner eines solchen Schiffes völlig vergessen, was der Zweck der Reise ist?
Im Roman „Die unendliche Reise” von Brian W. Aldiss wird das schön beschrieben.
Die klassische Star Trek-Folge “For the world is hollow and I have touched the sky” beschäftigt sich mit dieser Thematik.
Die Enterprise wird angegriffen, wehrt die primitiven Raketen aber mühelos ab. Ausgangspunkt ist ein Asteroid, den man sich daraufhin etwas näher ansieht. Das Objekt namens Yonada ist nicht nur auf Kollisionskurs mit einer bewohnten Welt, sondern stellt sich auch noch als hohl heraus. Und bewohnt. Von Typen, die längst nicht mehr wissen, daß sie überhaupt irgendwohin unterwegs sind.

Entzauberung von Phantasie durch die unangenehme Gegenwart von Fakten kann eine Plage sein. Die Science Fiction hat sich dem angepaßt. Sehr realistisch.

Alles Science Fiction?
Keineswegs. Der britische Physiker Leslie Robert Sheperd hatte bereits 1952 eine Arbeit veröffentlicht, in der er die Möglichkeit anspricht, einen Asteroiden mit atomarem Antrieb zu versehen und als Archenschiff zu verwenden. Die erwähnte Enterprise-Folge datiert von 1968.
Sogar die NASA beschäftigte sich in den 70er Jahren ausgiebig mit diesen Ideen. Aber generationenlang rumhängen im All ist wohl eher Mist. Nun, dann frieren wir die verdammten Astronauten eben ein.
Woran denkt man sofort? Natürlich – Star Trek. Denn der allerböseste Feind von Kirk war und ist Khan Noonien Singh. Und wo findet Kirk diesen Kerl?
Genau – in der Tiefkühltruhe an Bord des Raumschiffes Botany Bay. In der Folge “Space Seed” wird Khan mitsamt Getreuen wieder aufgeweckt und ist frisch wie der junge Morgen. Dann stellte sich heraus, daß es zwar möglich ist, Menschen einzufrieren, sich das Auftauen jedoch als extrem schwierig erweisen dürfte. Der einzige Typ, der durch Kälteschlaf jemals schöner geworden ist, ist Buck Rogers.
Die echte Wissenschaft machte der SF also auch dieses Konzept abspenstig. Heute lassen sich nur noch beklopte Amerikaner einfrieren, die ernsthaft glauben, im 37. Jahrhundert hätten Wissenschaftler irgendein Interesse daran, ihre längst außer Mode gekommene Todesursache zu beseitigen, damit sie der Welt weiter auf den Sack gehen können.
Bereits 1933 veröffentlichte ein Herr namens Laurence Manning eine Geschichte, in einem dieser Magazine, die ich beim letzten Mal erwähnte. In diesem Falle “Wonder Stories”.
Manning teilte sich mit einem Laßwitz nicht die Bekanntheit, aber zumindest die Eigenheit, daß seine Fiktionen eine ebenfalls sehr weit entfernte Zukunft beleuchteten. Und so läßt er in seinem Roman „Der Jahrtausendschläfer” ebenfalls einen Mann durch die Zeit reisen. Aber nicht mit einer geheimnisvollen Maschine. Der Protagonist verbringt seine Ruhephasen nicht im Kälteschlaf nahe dem absoluten Nullpunkt, sondern in einem Zustand stark reduzierter biologischer Aktivität, und reist so durch die Jahrhunderte.
Ab und zu wacht er auf, um einen Blick auf die jetzt neue Welt zu werfen, die sich ihm darbietet. Er ist wie die Astronauten im Kryoschlaf in späteren Romanen. Denn auch diese können niemals in die Welt zurückkehren, aus der sie einst kamen. Eine Reise zu einem anderen Stern ist eine Reise ohne Rückfahrkarte. Immer. Die Reise in die Zukunft bei Manning ebenfalls. Im Gegensatz zu Wells gibt es hier kein Zurück.
Der Unterschied ist, daß Mannings Reisender die Erde gar nicht verläßt. Nur die Zeit vergeht und bringt Veränderungen mit sich. Ein Kunstgriff des Autors, der es ihm ersparte, mit Raumschiffen, deren Antrieb und den Entfernungen im All herumhantieren zu müssen.

Die Geschichte der Science Fiction zerfällt ganz klar in zwei Teile. Die Zeit vor der Raumfahrt und die danach. Wenn man so will, eine Phase romantischer Schwärmerei, gefolgt von der Erkenntnis, daß die so heiß Geliebte dann doch ein paar Macken hat.
So wurde die Idee eines bewohnten Mars von einem Herrn namens Giovanni Schiaparelli besonders beflügelt. Der beobachtete den irdischen Nachbarn 1877 nämlich und zeichnete dann seine Karte mit den allseits berühmten Marskanälen. Und wo es Kanäle gibt, muß jemand die gebaut haben.
Oder auch nicht. Denn Schiaparelli war – wie man dem Namen durchaus entnehmen könnte – Italiener. Und hier bedeutet “canali” eigentlich nur “Linie” oder “Rinne”.
Solche Dinge können aber auch ohne Marsianer entstehen. Wobei die meisten der von Schiaparelli beobachteten Linien keiner Struktur auf dem Mars entsprechen. Der Typ hatte eben nur ein mittelmäßiges Teleskop mit altmodischen Glaslinsen.
Auf jeden Fall waren der Phantasie in der SF vor den 1960ern keine Grenzen gesetzt.
Die Venus war ein fetter, dampfender Dschungel voller Dinosaurier. Auf dem Merkur gab es eine Zwielichtzone zwischen Tag- und Nachtseite, in der Kolonisten wohnen konnten. Asteroidenjockeys beuteten die Steinbrocken im Sonnensystem aus, Riesenplaneten waren bewohnbar, alles war möglich.

Der erwähnte E. E. Smith gehört in diese Zeit. Wells ebenfalls. Ein großer Meister der SF bekam 2001 einen rückwirkenden Hugo-Award für sein 1951 erschienenes Buch „Farmer im All”.
Die Lebensmittel auf der Erde sind im Roman streng rationiert, Gruppen von Menschen sollen die Erde mit Frischgemüse versorgen. Da aber der Mars schon zu langweilig war, siedelte Robert Heinlein seine Farmer auf dem Jupitermond Ganymed an. Der ist gerade dabei, einem Terraforming unterzogen zu werden. Und so pflügen irdische Bauernjungs die grünen Felder Ganymeds. Wie teuer der Weltraum-Brokkoli im irdischen Supermarkt dann ist, verrät Heinlein uns allerdings nicht in seinem Buch.
Selbst wer keine SF-Leseratte ist, kennt zumindest “Starship Troopers”.
Allerdings muß ich dazu sagen, daß die Verhoeven-Verfilmung von 1997 – ist dieser Film wirklich schon zwanzig Jahre alt? – kaum Ähnlichkeit mit dem Buch hat.
Denn der Roman spielt sich mehr im Kopf des Protagonisten ab und nicht auf dem Schlachtfeld. Es geht um die Rolle des Militärs, um Pflichterfüllung, um die Frage, was ein Individuum seiner Gesellschaft schulden mag.
Sowohl dem Film als auch dem Roman wurden jeweils faschistoide Tendenzen nachgesagt. Denn es gibt hier keine Menschenrechte, keine Demokratie, keine psychologische Behandlung von Straftätern. Dafür gibt es Todesstrafe auch für Jugendliche und Stimmrecht nur für Bürger der Welt, die Militärdienst geleistet haben. Aber dieses Stimmrecht dürfen sie nur nach Abschluß ihrer Dienstzeit ausüben. Sowohl Kommunismus als auch Massendemokratie werden als Grund für den Zusammenbruch der Nationalstaaten angesehen.
Nun ja, das Buch erschien 1959. Gerade  erst war Senator McCarthy und sein „Kommitee gegen unamerikanische Umtriebe” über die USA hinweggezogen wie eine Regenfront. Schwarze und Weiße saßen in Bussen auf getrennten Plätzen in den so freiheitlichen USA.
Heinleins Weltraum-Marines gemahnen sehr stark an die von kosmischer Strahlung gebräunten – und meist durchweg männlichen – Helden der Space Opera, wie Smith sie mit seinen Lensmen erschuf. Überhaupt ist Heinlein einer der Autoren, die noch immer ihren Einfluß auf die heutige Zeit haben.
Er war derjenige, der als erster in großer Öffentlichkeit gesellschaftliche Probleme anschnitt, denn er war einer der ersten, die den Schritt aus der Schmuddelecke in die „normalen” Magazine und Literaturbesprechungen schaffte. Denn vorher, in den 30er und 40er Jahren, war Science Fiction eben alles, nur keine Literatur.
Die Wichtigkeit individueller Freiheit und Selbstbestimmung – auch sexuelle – waren Themen seiner Bücher. Für sein “Stranger in a strange land” wurde er verdammt, denn hier geht es irgendwie auch um Sex. Wobei die meisten dieser „anstößigen” Szenen in der Ursprungsfassung von 1961 gestrichen wurden. Das war wohl auch der Grund, warum das Buch dann doch einen Hugo gewann.
In der Originalfassung, die erst in den Neunzigern herauskam, hätte es das Buch nicht geschafft, da bin ich mir sicher. Nur, wenn die dargelegten Gedanken den Rahmen des gesellschaftlich Erlaubten nicht überschreiten, erfährt der Autor oder Redner Anerkennung. Man sieht, daß die Gesellschaft der 60er Jahre nicht weniger doppelmoralisch war als die heutige.
Heinlein gewann mehr als einen Hugo, einen weiteren für “The moon is a harsh mistress” (1966, dtsch. Revolte auf Luna). Er schrieb über den Einfluß von Religion auf Regierungen und menschliche Gesellschaften, er schrieb über die Tendenz zur Unterdrückung non-konformistischer Gedanken.
Ein gerade heute wieder bedrückend aktuelles Thema. Wie bei einem George Orwell oder Aldous Huxley oder einer Mary Shelley. Oder einem Autor, der ein Viertel seines Buches wegstreichen soll, weil Sex drin vorkommt.
Da sage noch jemand, Science Fiction hätte ja keinen Bezug zur Realität, schon gar nicht, wenn sie fünfzig oder sechzig Jahre alt ist.

Während die Sowjets ernsthafte Raumforschung betrieben, setzten die USA auf politische Show und landeten auf dem Mond. Dann ließen sie sich 50 Jahre feiern.

Um zu sehen, was denn wirklich möglich ist, schickte dann die Sowjetunion bereits ab 1961 im Rahmen des Venera-Programms einige Sonden ins All. Konsequenterweise nicht Richtung Mond oder Mars, sondern zur Venus.
Die sowjetischen Wissenschaftler hatten diese Entscheidung getroffen, weil die Venus näher an der Sonne steht und außerdem auch näher zur Erde. Zudem ist es einfacher, eine Raumsonde ins Sonnensystem hineinfallen zu lassen, als sie hinauszubefördern, wie es bei einem Marskurs der Fall ist. Und natürlich war da die Tatsache, daß sich der Mars inzwischen als eben wohl doch eher unbewohnt und unkanalisiert herausgestellt hatte. Obwohl ich bezweifle, daß einer der beteiligten Wissenschaftler das als Grund anführen würde.
Es hat sicherlich auch nichts damit zu tun, daß ein Mann namens Alexander Petrowitsch Kasanew 1962 einen Film herausbrachte, der wiederum auf einer Kurzgeschichte von ihm beruhte. Der Film heißt „Planet der Stürme” und – man errät es – spielt auf der Venus.
Nein, ich bin mir sicher, daß Science Fiction in der Sowjetunion ebensowenig Bezug zur Wirklichkeit hatte wie anderswo auf dem Planeten Erde.

Das Venera-Programm war von allerlei Problemen geplagt. Mal kam man nicht über den Erdorbit hinaus, mal riß der Funkkontakt ab. Aber die Sonden der Sowjets wogen zwischen 600 und 900 Kilogramm, während ihr Sputnik 1 noch ein kleiner, piepsender und vor allem sehr leichter Metallball gewesen war. Dem Klassenfeind in Washington dürften die Demonstrationen gesteigerter sozialistischer Leistungsfähigkeit nicht gefallen haben.
Umgekehrt aber auch nicht, denn der erste erfolgreiche Vorbeiflug an der Venus ging dann doch auf Konto der Amerikaner. Im Dezember 1962 passierte Mariner 2 den Abendstern.
Das mit der weiteren Erforschung gestaltete sich schwierig. Den Sowjets gelang es, Landekapseln in die Atmosphäre zu bringen. Aber die fielen dann immer sehr schnell aus. Dennoch reichten die Daten aus, um den Traum eines Dschungelplaneten mit vor Leben wimmelnden Regenwäldern sehr schnell ins Jenseits zu befördern. Venera 4 beispielsweise starb im Oktober 1967 den heldenhaften Forschungstod bei über 200 Grad Celsius und etwa 22 bar Druck. Und zwar in einer Höhe von 25 Kilometern über der Oberfläche der Venus.
Auch anderen Landern erging es nicht besser. Erst als die Sowjets die Widerstandsfähigkeit ihrer Erkunder massiv erhöhten, kamen sie zum Erfolg. Im Mai 1969 landete Venera 7 schließlich auf der Oberfläche der Venus. Die Kapsel war ausgelegt auf einen Druck von 180 bar. Es war die erste erfolgreiche Landung auf einem fremden Planeten überhaupt.
Die Amerikaner, Showmen die sie sind, konzentrierten sich derweil auf den Mond. Mit Erfolg. Nur ein paar Wochen nach Venera landete Apollo 11 mit seiner Besatzung auf dem Mond. Großer medialer Jubel war die Folge.

Die Sowjets erforschten weiterhin beleidigt die Venus. Und sie waren dabei überaus erfolgreich. Venera 9 lieferte die ersten Kamerabilder von einer fremden Welt überhaupt. Immer mehr wurde über die angebliche Schwester der Erde bekannt.
Bis 1984 lief das Venera-Programm, dann wurde es zum Vega-Programm, das nicht nur weitere Venusforschung brachte, sondern auch am Kometen Halley vorbeiflog – und zwar vor der europäischen Giotto-Sonde.
Aber zu diesem Zeitpunkt war „Dschungelwelt Venus” bereits so tot wie der Dodo. Die angebliche Schwester der Erde hatte eine Atmosphäre wie der Mars auch: etwa 96% Kohlendioxid. Nur hat die Venus auch einen Druck von 90 bar an der Oberfläche vorzuweisen, was insgesamt zu einer gemütlichen Temperatur von etwa 500 °C führt. Auf der Venus kann man also problemlos zu Silvester Blei gießen, das schmilzt dort von ganz alleine. Und man kann jeden Tag Silvester feiern, denn ein Venustag dauert länger als ein Venusjahr. Alleine diese unfaßbar langsame Rotation verwandelt den Planeten Sol II in eine echte Höllenwelt. Niemand lebt hier, kann hier leben oder hat hier je gelebt.
Solche Umweltbedingungen hält selbst der dickste Saurier nicht aus. Die Wissenschaft hatte das nächste romantische Ziel der SF des Golden Age getötet.

Das hinderte allerdings die größte Science-Fiction-Serie der Welt nicht daran, exakt auf diesem Dschungelplaneten, den es gar nicht gab, eine Basis außerirdischer Intelligenzen zu ersinnen, die vom Protagonisten heldenhaft übernommen wird, um sich das dortige Computerpotential nutzbar zu machen.
Die Rede ist natürlich von niemand anderem als dem Major der U.S. Space Force Perry Rhodan, der bekanntlich 1971 bei der ersten Mondlandung einen verschollenen Forschungskreuzer der Arkoniden entdeckt hat. Das dies nicht der erste Besuch der Arkoniden im irdischen Sonnensystem ist, stellt sich erst etwas später heraus. Aber aus dieser Zeit vor zehntausend Jahren stammt das Positronengehirn, das die Venusbasis verwaltet.
Ja, der Erde größte Serie der Science Fiction erscheint seit 1961 ausgerechnet in Deutschland. Nicht unbedingt das beste Pflaster für diese Literaturgattung nach meiner persönlichen Einschätzung. Aber Major Rhodan verhindert dank außeriridischer Supertechnik einen weltweiten Atomkrieg, wehrt alle Versuche der Großmächte USA und Sowjetunion ab, sein kleines Reich zu infiltrieren oder zu vernichten und wird schließlich Chef seines eigenen Klubs, der Dritten Macht.
Witzigerweise arbeiten die ehemaligen Feinde beim Versuch, ihn zu erledigen, eifrig zusammen. Und so entsteht schließlich die Terranische Weltregierung, um zu unglaublichen Abenteuern aufzubrechen, sei es im Sonnensystem der Wega, im Kugelsternhaufen M13, wo die Arkoniden wohnen, oder weit jenseits davon, in der Nachbargalaxis Andromeda oder den Magellanschen Wolken.
Das ist auch der Punkt, an dem die bei mir im Regal stehenden Silber-Sammelbände enden, mit dem Beginn des Magellan-Zyklus.
Perry Rhodan aber ist weiterhin unsterblich und zieht seine Kreise im Universum der SF-Literatur. Die Tatsache, daß die Venus immer eine Dschungelwelt geblieben ist in diesem anderen Universum, hat dessen Beliebtheit offenbar nicht geschadet.
Im Gegenteil. Ich vermute, daß sich Mr Rhodan noch immer so großer Beliebtheit erfreut, eben weil die Autoren ihre Werke nicht an die Erkenntnisse moderner Wissenschaften angepaßt haben.

Bild 1: Walking on the moon
Die Karte zeigt die erdzugewandte Seite des Mondes mit allen Landeplätzen von Mondmissionen. Die Surveyor sind amerikanische, die Luna sind sowjetische Monderkunder. Die Landepunkte der Apollo-Missionen sind grün gekennzeichnet. Auch eingezeichnet sind die Mondmeere, die gar keine sind.

Gerade war die Presse wieder völlig aufgeregt über eine Entdeckung der japanischen Raumsonde Selene. Wie am Namen unschwer zu erkennen ist, geht es um die Erforschung des Mondes.
Das Stück fernöstlicher High Tech hat unter der Oberfläche des Mondes eine Höhle entdeckt, die gute 50 Kilometer lang zu sein scheint.
Die japanische Raumfahrtbehörde JAXA schlägt vor, diesen Hohlraum als Basis für Astonauten und ihre Ausrüstung zu nutzen. Möglicherweise enthält das Gestein sogar Wassereis, das wiederum dazu benutzt werden könnte, weitere Unternehmen…nun, zu befeuern.

Wassereis. Auf dem Mond. Das hat man da schon lange vermutet. Die großen, dunklen Flecken, die man dort oben sehen kann, heißen Mare Tranquilitatis. An dessen Rande landete die Mission von Apollo 11. Sie heißen Oceanus Procellarum. Die Nachfolgemission landete dort. Apollo 15 schließlich berührte den Mondboden im Gebiet des Mare Imbrium.
Aber weder das „Meer der Ruhe” noch der „Ozean der Stürme” noch das „Regenmeer” enthalten auch nur einen Tropfen Wasser. Es sind große Flächen erkalteter Lava, sonst nichts. Die wiederum reflektiert wesentlich weniger Licht als die umgebende Oberfläche, wodurch die dunklen Flecken auf dem Angesicht unseres Trabanten zustandekommen. Außerdem enthalten die Gesteine das eine oder andere Metall in unterschiedlichen Konzentrationen, deshalb sind auch diese Lavaflächen von unterschiedlicher Färbung.
Doch die ersten Mondbeobachter hielten sie für Wasserflächen und benannten sie entsprechend. Schuld daran ist ganz besonders wieder so ein Italiener. In diesem Falle ein Typ namens Giovanni Riccioli.
Der wiederum war Priester und hielt das heliozentrische Modell eines Herrn Kopernikus für falsch. Riccioli war der Meinung, daß die Venus, der Merkur und der Mars um die Sonne kreisen. Der Mond, Jupiter und Saturn aber kreisen um die Erde, ebenso wie die Sonne mit den anderen Planeten auch. Uranus spielt hier übrigens noch keine Rolle, der wurde erst 1781 von William Herschel entdeckt, ein gutes Vierteljahrtausend später.
Wem das ein wenig irre erscheint, dem sei gesagt, daß der italienische Theologe dieses Weltbild keinesfalls selbst erfunden hat. Es handelt sich um das vom dänischen Astronom Tycho Brahe vertretene Modell, das deshalb Tychonisches Weltbild heißt. Brahe war keineswegs ein Idiot, sondern einer der besten Beobachter seiner Zeit. Allerdings war er auch nicht von der Korrektheit des reinen Heliozentrismus überzeugt. Im Grunde handelt es sich um einen Wissenschaftsstreit, wie wir ihn auch aus späteren Jahrhunderten kennen. Unserem, zum Beispiel.
Riccioli benutzte sogar die von Galileo Galilei gefundenen Fallgesetze, um damit zu beweisen, daß die Erde nicht rotiert. Und Galilei war zu diesem Zeitpunkt bereits in kirchliche Ungnade gefallen.
Der Priester hat also dieselben Daten benutzt wie die Leute, deren Weltbild er anzweifelte. Eine wissenschaftlich betrachtet völlig korrekte Methodik. Auch heutige Wissenschaftler leiten aus gleichen Datensätzen manchmal unterschiedliche Auffassungen ab. Veröffentlicht hat Riccioli diese Auffassung in seinem Almagestum novum. Ein heute noch berühmtes Buch, nicht wegen seiner Ansichten zum Aufbau des Sonnensystems, sondern wegen seiner Mondkarte. Die hellen Bereiche nannte er hier „Terrae”, also Hochland. Da war es nur naheliegend, die dunklen Gebiete als „Maria” zu bezeichnen, also Meere.

Nur sind die Meere des Mondes ebensowenig real wie die Kanäle des Mars, die ein Übersetzungsfehler und ein mieses Teleskop produziert hatten. Auf dem Mond gibt es weniger Wasser als auf dem Wüstenplaneten Arrakis.
Doch das hält den Menschen des 21. Jahrhunderts nicht davon ab, die Oberflächenmerkmale weiterhin völlig falsch zu benennen. Menschen, die keinesfalls Idioten sind, sondern üblicherweise eine handfeste wissenschaftliche Ausbildung vorweisen können. Nicht nur die Japaner sind geradezu euphorisch über die Möglichkeit, in den entdeckten Höhlen eine Basis einzurichten.
China demonstriert seine Großmachtambitionen und hat 2007 einen ersten Erkunder zum Erdtrabanten geschickt. 2013 folgte ein weiterer. Inzwischen verkündet die Regierung Pläne zum Bau einer Raumstation und einer bemannten Mondmission bis spätestens 2030. Beides mit dem erklärten Ziel der Errichtung einer dauerhaften Basis auf Luna.
Gleichzeitig stürzt aber 2018 das erste Weltraumlabor der Chinesen, Tiangong-1, in die Erdatmosphäre ab. Wobei Tiangong so viel bedeutet wie “Himmlischer Friede”. Als wäre dieses Rumgemache im Orbit besonders friedlich. Unmittelbar fühle ich mich an das “Skylab” der USA erinnert. Kaum oben, stürzte das Ding auch schon wieder ab. Auch diese Raumstation sollte den Weg zum Mond ebnen. Damals™, in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts. Mir kommt es so vor, als sei es im letzten Jahrtausend gewesen.

Bild 2: Building on the moon
Der Screenshot aus dem Spiel ANNO 2205 zeigt, wie sich Gamedesigner heute eine Mondbasis im 23. Jahrhundert vorstellen. Dabei wäre schlicht niemand so blöd, eine Basis auf die Oberfläche des Mondes zu stellen. In zweihundert Jahren schon gar nicht.

Natürlich könnte man also eine dauerhafte Mondbasis errichten. Stimmt. Könnte man. Aber wozu?
Die Basis könnte ein Meilenstein auf dem Weg woanders hin sein, so heißt es. „Woanders” ist natürlich der Mars. Da gibt es dann noch weniger Wasser als auf dem Mond. Dafür mehr Atmosphäre. Die aber auch eher in homöopathischen Mengen vorliegt und außerdem noch aus dem falschen Gas besteht. Was aber auch völlig egal ist, denn bei 10 Hektopascale finden wir Menschen nichts vor, das man atmen könnte. Außerdem ist auf beiden außerirdischen Welten die Heizung kaputt.
Doch das hindert Mensch nicht daran, weiterhin von diesen Welten zu träumen.
Ebenso wie früher wird spekuliert, daß man dort oben Ressourcen ausbeuten könnte. Die Rede ist gar von Helium-3. Das wäre der Brennstoff, mit dem man Kernfusion betreiben kann. Sobald die funktioniert, natürlich.
Das fällt eindeutig unter die Kategorie Weihrauch und Glitzerstaub, über die ich mich schon einmal ausgelassen habe.
Auch die USA wollen eine neue Raumstation errichten. Zusammen mit den Russen. Also den fiesen Putinisten, die man gerade erst wieder mit Sanktionen belegt hat, weil…nun, weil halt.
Der Clou an der Sache ist, daß diese Station um den Mond kreisen soll, nicht etwa um die Erde. Das ist ein bei weitem noch wahnsinnigerer Plan als der der Chinesen. Aber auch die europäische ESA hat bereits Interesse bekundet.
Der Name des Projekts ist “Deep Space Gateway”. Es darf geraten werden, wohin diese Tür dann führen soll. Ich hätte da einen Verdacht.

Noch immer sind Politik, Wissenschaften und mit ihnen ein großer Teil der Gesellschaft in einem Netz aus Narrativen gefangen, aus Geschichten, die immer weniger Substanz aufweisen, immer mehr den Bezug zur Realität verlieren.
Science Fiction, könnte man sagen, die immer mehr von ihrer Science verliert.
Ebenso wie Dschungelvenus und Twilight Zone auf dem Merkur sind Marskolonien, die von Mondbasen versorgt werden, ein weiteres Kapitel im Buch der Welten, die es niemals geben wird. Weil es sie niemals gab.
Der Mond, so hätte Heinlein geschrieben, ist in der Tat eine rauhe Geliebte.


Das Beitragsbild stammt von Chris Moore, einem SF-Illustrator und Kollegen von Peter Elson, der für das Bild in Teil 7 verantwortlich ist. Wer sich da an eine Tibanna-Gasmine erinnert fühlt…dazu sage ich nichts 😉

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