Europa? Schtonk!

Wieder ist es ein schöner Sonntag, zumindest über dem Teil Europas, in dem ich wohne. Woanders dürfte es sich momentan nicht zwingend so nett anfühlen.
Nach stundenlanger Beratung haben gestern die Finanzminister der EU, die sogenannte Eurogruppe, ihre Verhandlungen über den neuen griechischen Vorschlag ergebnislos abgebrochen.
Ich nenne das ergebnislos, da es nicht einmal eine gemeinsame Abschlußerklärung gab und das ist ja in der Diplomatie eigentlich der Minimalkonsens. So in der Art wie ,,Es waren intensive Gespräche” oder ,,Die Positionen sind noch annäherungsfähig”. Was übersetzt dann heißen würde, man hat sich gegenseitig angebrüllt oder man ist mit dem Arschloch auf der anderen Seite nicht wirklich auf einen grünen Zweig gekommen.
Aber nicht einmal das kam in Brüssel raus. Über dieses weniger als Nichts werden dann heute abend also die Staats- und Regierungschefs ,,beraten”, da man diese Entscheidung mit Griechenland nicht einfach den Chefs der Finanzressorts überlassen möchte.
Übrigens ein Fakt, das man gestern noch einmal extra betont hat. Allein das weist bereits auf den elenden Zustand hin, in dem sich das Projekt Europa derzeit befindet. Sehr großzügig von unseren postdemokratischen Marktverwaltern, daß man die Entscheidung über eine ganze Nation mit immerhin 11 Millionen Menschen für wichtig genug erachtet, um hier aus deutscher Sicht dann doch mal die Kanzlerin zu bemühen und nicht nur den schwäbischen Streitwagen an die Front zu schicken.

Letzte Woche haben die Griechen mit überwältigender Mehrheit ,,Nein” gesagt zu weiteren Sparplänen, die ihnen von außen einfach so aufs Auge gedrückt werden sollen. Nur wenige Tage später legt der Regierungschef Tsipras eine neue Sparliste vor, über die man in Brüssel befinden soll. Zum Erstaunen vieler professioneller Zeitungsschreiber enthält diese Liste fast die Punkte, die die griechische Bevölkerung abgelehnt hatte. Was wiederum zeigt, daß extrem viele Zeitungsschreiber nicht das geringste bißchen Verständnis für die griechische Bevölkerung aufbringen können. Auch Herr Schäuble, dieser griesgrämige Drache von Angela der Alternativlosen, das knurrige Gesicht der Krise für so viele Griechen, zeigte sich verdutzt. Dabei ist die Erklärung eigentlich nicht so schwierig.

Ich bin absolut davon überzeugt, daß ein Großteil der Griechen sehr wohl weiß, daß ihr eigener Staat ein korruptes Klientelsystem ist, an dem sich fundamental was verändern muß, soll das Land wieder auf die Beine kommen. Immerhin sind die Griechen damit schon mal weiter als wir in Deutschland, denn hier ist das Klientelsystem noch kaputter.
Wie sonst sollte so ein als erwiesen hirnfreie Zone agierender Typ wie Ronald Pofalla als Chef der Deutschen Bahn ins Gespräch kommen? Mit den überragenden Fähigkeiten in Verwaltung, vernetztem Denken und Menschenführung kann man solche Vorhaben mit absoluter Sicherheit nicht begründen.
40 Jahre Regierungsarbeit und Korruption – übrigens die Arbeit aufrechter, konservativer Regierungen – haben Griechenland also schwer zugesetzt. Auch den Oxi-Stimmern wird sehr wohl bewußt gewesen sein, daß das Land noch immer vor schweren Zeiten steht, egal, was da kommen mag.
Das manifestiert sich darin, daß die linke Syriza-Regierung, die extra noch eine Abstimmung hat durchführen lassen, in der man Sparpakete abgelehnt hatte, jetzt ein neues Sparpaket vorlegt.

Athen legt Sparmaßnahmen vor, die auch von der Troika stammen könnten. Warum ist das kein Widerspruch?

Es ging niemals um Sparen oder nicht Sparen. Es ging den Griechen darum, besser dazustehen und selber zu bestimmen, was mit ihrem Land geschieht. Denn Griechen sind – Achtung, liebe Europapolitiker! – glühende Nationalisten.
Ich war noch niemals in Griechenland, aber ich habe genug Griechen kennengelernt, die außerhalb des Landes wohnen, nämlich bei uns.
Keiner von denen läßt sich etwas sagen, wenn es um nationale Angelegenheiten geht. Da wird es emotional, da schäumt der Grieche an sich so schnell hoch wie der Latte-Schaum beim Italiener, und ebenso heiß.
Es mag seltsam klingen in deutschen Ohren, aber die Griechen an sich sind tatsächlich Nationalisten. Was in ihrem Fall bedeutet, daß sie das Land lieben, aus dem sie stammen. Nach meiner Erfahrung assoziieren Griechen ,,Nation” mit ,,Heimat”  und das wiederum mit ,,Zuhause”. Insgesamt also mit Positivem, ein Gedankengang, der uns Deutschen ja durch Erziehung bereits verboten ist, wegen der Nazis und so… siewissenschon.

Dabei hat ein gesunder Respekt und eine gewisse Zuneigung zum eigenen Land nichts mit dem unterschwelligen Mißton zu tun, den das Wort ,,Nationalismus” in deutschen Ohren immer auslöst.
Immerhin nennt die deutsche Presse so einen mißratenen Haufen wie die AfD auch ,,nationalkonservativ”. Dabei sind diese Typen nicht nationalkonservativ, die sind xenophob- faschistisch und insgesamt sehr armselig, sonst gar nichts. Nur müßte die Presse das eben auch mal so schreiben.
Parteien wie die AfD sind wie das Haarsieb in der Dusche, in dem sich immer der ganze Schmodder sammelt, mit dem eigentlich ja keiner was zu tun haben will, drum macht da auch nie einer sauber. Aber der Schmodder ist halt irgendwo Produkt des Ganzen, also des jeweils geduschten Astralkörpers, und irgendwo muß sich der Dreck ja sammeln, wenn er nicht in der Kanalisation landet.
Für Griechen ist es also keine Schande, auf das eigene Land auch stolz zu sein.
Gut, die Infrastruktur sieht nicht gut aus, man schaue sich nur mal diese kaputte Akropolis an, da müßte dringend mal renoviert werden. Aber immerhin hat diese Gegend in den letzten 2500 Jahren einige erstaunliche Dinge hervorgebracht, die ihren Einfluß bis heute aufrechterhalten.

,,Demokratie” in unserem heutigen Sinne gehört übrigens nicht dazu. Demokratie in den antiken griechischen Staatstaaten war nicht für Sklaven gedacht oder für Frauen. Heute dürfen Leiharbeiter und Frauen sehr wohl abstimmen, jedenfalls in unserem Land. Auch die meisten Männer durften nicht abstimmen, denn die waren dafür nicht wohlhabend genug. Heute ist die Stimme von Friede Springer nicht mehr wert als meine, allerdings hat Frau Springer mehr Einfluß auf andere Stimmen als ich, denn sie ist wesentlich wohlhabender. Auch unsere Demokratie ist halt nicht das Gelbe vom Ei.
Aber ein Typ wie Perikles hätte jedem den Speer zwischen die Rippen gerammt, der in der Ekklesia – das war die damalige Volksversammlung in Athen, also quasi das Parlament – vorgeschlagen hätte, Athen könne ja mal ein Bündnis der Freundschaft und der Solidarität mit Sparta eingehen, statt sich mit den Brüdern ständig gegenseitig die Rübe einzuschlagen.

Trotz der etwa 80 Generationen seit Perikles hat sich an diesem Teil griechischer Genetik nichts geändert. Was das griechische Volk also letzten Sonntag gesagt hat. läuft auf Folgendes hinaus: ,,Wir wissen, daß das unangenehm werden kann. Aber wir lassen uns nicht weiter von außen Befehle erteilen.”
Ganz besonders junge Griechen, die ohne Arbeit oder Ausbildung auf der Straße stehen, haben mit Nein gestimmt. Was ich auch erwartet hatte, denn das ist die ganze Essenz des Referendums: Ein Land besteht darauf, eine Zukunft haben zu können.
Irgendwie scheint diese Botschaft aber bei den anderen Europäern nicht wirklich angekommen zu sein. Ich hatte ja bereits im Februar schon behauptet, daß ein Mann wie Schäuble auch gar kein Interesse daran hat, sich irgendwie um Demokratie zu kümmern, da ihm jegliche Demokratie außerhalb seiner eigenen Meinung völlig fremd ist. Und ich habe prominente Unterstützung bekommen für diese Sicht der Dinge. Von Herrn Varoufakis nämlich, der jetzt, wo er ja nicht mehr Finanzminister ist, auch mal aus dem Nähkästchen plaudern kann – was er auch tut.

In 2010, the Greek state became insolvent. Two options consistent with continuing membership of the eurozone presented themselves: the sensible one, that any decent banker would recommend – restructuring the debt and reforming the economy; and the toxic option – extending new loans to a bankrupt entity while pretending that it remains solvent.

Das entspricht exakt dem, was ich in der letzten Woche geschrieben habe und in der Woche davor. Es ging niemals darum, Griechenland zu retten. Man hat einem bankrotten Staat Geld geliehen, um das Bankensystem zu stützen. Dafür mußte dann die Bevölkerung des Staates bezahlen. Auch dieser Standpunkt wird von Herrn Varoufakis ausdrücklich bestätigt:

Official Europe chose the second option, putting the bailing out of French and German banks exposed to Greek public debt above Greece’s socioeconomic viability.

Ich bedanke mich für diese Stärkung meiner Ansichten durch einen prominenten Insider. Wer des Englischen mächtig ist, der findet das Interview im Guardian zum Nachlesen, sehr interessant. Eine deutsche Zusammenfassung kann man hier finden.

Wie immer wird natürlich von europäischer und gerade von deutscher Seite vehement abgestritten, daß man diese monatelangen ,,Verhandlungen”, bei denen ja in Wahrheit immer wieder dieselben Forderungen auf den Tisch gelegt wurden, nur deshalb so geführt hat, um letztendlich eine nicht von Brüssel und Berlin genehmigte linke Regierung aus dem Amt zu mobben.
Aber jeder mit ein bißchen Sinn und Verstand sollte spätestens im Laufe der letzten Woche bemerkt haben, daß das eben schlicht gelogen ist.
Es geht um nichts anderes als Einschüchterungen und Machtdemonstration. In Anbetracht bevorstehender Wahlen auf der iberischen Halbinsel und der bedrohlichen Beliebtheit der dortigen Linken darf eine Regierung wie Syriza keine Erfolge haben.
Wie schon einmal betont, heißt das natürlich nicht, daß die Regierung in Athen über jeden Zweifel erhaben ist oder bisher diplomatisch alles richtig gemacht hätte, das ist aber ein anderes Thema. Die generelle Haltung von Herrn Schäuble ist offenbar die, daß an Griechenland ein Exempel statuiert werden muß, um andere Regierungen in Europa auf Linie zu halten. Auf seiner Linie und der Frau Merkels. Alternativlos!

Der deutsche Finanzminister hat also gestern ernsthaft ins Gespräch gebracht, Griechenland könne ja für eine begrenzte Zeit – etwa 5 Jahre – aus dem Euro austreten.
Dieser Vorschlag ist an Heimtücke und brechreizerregnder Arroganz nicht zu überbieten. Als Argument für diese offensichtliche Strafmaßnahme führt Schäuble natürlich humanitäre Gründe an. So könne Griechenland sich wirtschaftlich erholen, seine Schulden restrukturieren und danach wieder in den Kreis der Lieben zurückkehren. Herr Schäuble erinnert mich in diesem Moment an den Hollywood-Filmvater beim Militär, mindestens im Rang eines Colonels, der sich beim ersten Abendessen mit dem Hipster-Freund der Tochter das blutige Steak reinhaut, über die Großartigkeit Amerikas und der kämpfenden Truppen schwadroniert und nebenbei AIDS als Strafe Gottes für alle Schwulen bezeichnet – ohne das AIDS-Schleifchen an der Bluse seiner Tochter zu bemerken oder die Tatsache, daß der junge Mann offensichtlich Vegetarier ist.
Exakt dieses peinliche innerliche Augenrollen, gepaart mit einem guten Maß Fassungslosigkeit, löst der schwäbische Streitwagen ihrer Merkeligkeit in mir als Deutschen aus. Sorry, Griechenland – aber ich habe diesen Typen nicht gewählt und seine Partei auch nicht. Nicht mal den Koalitionspartner, diese sogenannten Sozialdemokraten. Ehrlich!

Tsipras möchte gar nicht, daß die griechischen Schulden restrukturiert werden.
Es sei denn, damit ist ein Schuldenerlaß von mindestens 50% der anstehenden Summe von etwas über 300 Milliarden Euro gemeint. Das ist das Einzige, was dem Land ökonomisch wieder auf die Beine helfen könnte. Laut Varoufakis ist es auch das, was die Griechen ja schon seit Februar gefordert haben, was sich auch in zahlreichen Pressemeldungen nachvollziehen läßt.
Die angebotene Restrukturierung à la Schäuble bedeutet, das Land muß mal ein paar Jahre keine Zinsen bezahlen. Außerdem spricht Schäuble von ,,humanitärer Hilfe” für das Land. Was deutlich zeigt, wie mies die Lage ist.
Erstens ist schon der Ausdruck ,,humanitäre Hilfe” in meinen Ohren völliger Blödsinn. Was wäre denn dann ,,unhumanitäre Hilfe”?
Eine Kriegserklärung? Flächenbombardements auf die Akropolis?
Zweitens bedeutet es, daß natürlich immer noch Gelder nach Griechenland fließen, die aus irgendwelchen europäischen Steuerkassen kommen müssen, denn Griechenland ist weiterhin pleite.
Der deutsche Finanzminister spricht also davon, den Griechen weiter Hilfen zu bezahlen, versucht aber, diese Tatsache zu verbergen. Außerdem hinge das Land dann am Tropf europäischer Nothilfe für elementare Dinge. Wir reden hier von Decken, Medikamenten und Nahrungsmitteln – in Griechenland, nicht Haiti oder Nordkorea.

Wie lange würde es dauern, bis eine neue Regierung gewählt würde, um dieses Dahinsiechen einer Nation zu beenden? Ginge daraus eine konservative Regierung hervor, würden ruck-zuck wieder Gelder fließen, da bin ich mir sicher. Was aber, wenn die nächste Regierung dann aus Faschisten besteht?
Etwas, das als nationale Demütigung empfunden wird, birgt große Gefahren für solche Entwicklungen. Ein deutscher Finanzminister sollte das wissen.

Zusätzlich ergibt sich der Aspekt, daß Griechenland ja irgendwann auch wieder in den Euro zurückkehren müßte. Aber dafür gibt es Bedingungen und die sind – im Gegensatz zu Austritten aus der Eurozone – vertraglich geregelt. Ich wette darauf, daß Griechenland, ist es erst einmal draußen, nie wieder in die Eurozone hineinkäme. Am allerwichtigsten ist aber die Tatsache, daß es im Schäuble-Szenario keinerlei Schuldenerlaß gibt. Die Griechen sollen also ihre Wirtschaft außerhalb des Euro wieder in Schwung bringen, damit sie hinterher wieder anfangen können, die Schulden abzustottern, von denen jeder weiß, daß sie untragbar sind.
Seit Anbeginn dieser gigantischen Farce auf der europäischen Bühne, dieser Tarnungsaktion für eine Insolvenzverschleppung auf nationaler Ebene, mit der die deutsche Regierung ihre Unfähigkeit verbergen möchte, gibt es Stimmen, die sagen, daß Griechenland einen Schuldenschnitt benötigt, damit die Wirtschaft überhaupt eine Chance bekommt. Selbst der IWF hat inzwischen zugegeben, daß derartige Dinge schlicht und einfach erforderlich sind.
Auch die USA haben in Gestalt der Stimme des mächtigen Lauschbruders Darth Obama der Gouverneurin ihres 52. Staates zu verstehen gegeben, daß derartige Maßnahmen unausweichlich sind. Was eventuell damit zu tun haben könnte, daß die USA ja auch größter Teilhaber des IWF sind, aber die paar Milliarden machen Amerika auch nicht mehr pleite, als es ohnehin schon ist.

Traue keinem Schäuble, wenn er mit Geschenken kommt! Was Schäuble will, ist Kapitulation.

Herr Schäuble aber möchte so etwas Empörendes wie Schuldenschnitte nur in Erwägung ziehen als Belohnung für ,,Reformen” – also weitere Sparmaßnahmen, die aus Brüssel diktiert werden. Der Fairness halber sei noch einmal erwähnt, daß ,,Schuldenschnitt” natürlich eine Nebelkerze ist, das einzige, was Griechenland helfen kann, ist ein Schuldenerlaß.

Ginge Griechenland aber auf die absurde Forderung Schäubles ein, hätten wir exakt dasselbe Problem wie seit 5 Jahren: Das Land häuft neue Schulden auf – durch die gewährten ,,Hilfspakete”, deren Zinsen nicht zu stemmen sind. Ein überwiegender Teil der Gelder geht für den Schuldendienst drauf, wird also weitergereicht an die europäischen Banken. Zur Erinnerung: Je nach Quelle waren es bisher 77%-89% der ,,Rettungs”pakete, die schlicht durchgereicht wurden.
Was wiederum bedeutet, es bleibt nichts an Geld übrig für wirtschaftsfördernde Maßnahmen. Was dazu führt, daß das Land erneut Geld benötigt. Was dazu führt, daß es neue Verhandlungen und neue ,,Reformen” gibt. Herr Schäuble ist also bereit, die Rettungsmaßnahmen für das marode Banken- und Finanzsystem bis zum letzten verhungernden Griechen zu verteidigen. Schäuble führt einen wirtschaftsideologisch motivierten Krieg, und er will eine Kapitulation.
Auf Griechenland folgt dann Spanien, sollten die dann noch die Frechheit besitzen, so etwas Linkes wie die Podemos zu wählen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß ein Vorschlag wie der, der gestern auf den Tisch kam, nicht mit der Kanzlerin abgesprochen ist, darüber gab es gestern einiges Rätselraten in der deutschen Presse.

Auch der Rest der Eurogruppe spricht immer wieder davon, daß man das Angebot der Gegenseite nicht überzeugend finde und offen wird daran gearbeitet, Griechenland aus dem Euro herauszudrängen. Dabei sind in der aktuellen Vorlage sogar Mehrwertsteuererhöhungen enthalten, und zwar ausgerechnet im Gastronomie- und Hotelbereich. Also in der Tourismusindustrie, einer der wenigen Industriezweige ist, die das Land noch hat. Nicht gerade wirtschaftlich geschickt, aber eine Forderung der Troika.
Die eigentlich linke Syriza hat sich bei ihren Vorschlägen inzwischen so weit von ihrem Wahlprogramm entfernt, daß Tsipras am gestrigen Samstag bei einer Abstimmung im Parlament schon auf die Opposition angewiesen war, um diese Vorlagen überhaupt verhandeln zu dürfen. Trotz dieser eigentlich starken Unterstützung des Parlaments in Athen ist man auf europäischer Ebene nicht davon überzeugt, daß Griechenland ,,die Reformen auch umsetzen wird”.
Gut, in gewissem Maße ist das verständlich. Aber was erwarten die Euro-Finanzminister denn bitte von Tsipras? Daß er das Kaninchen aus dem Zylinder zaubert? Ohne Zylinder? Und mit welchem Kaninchen eigentlich?

Währenddessen nähert sich die Wirtschaft des Landes dem Zusammenbuch. Die Banken bleiben in der zweiten Woche geschlossen, ebenso die Börse, selbst bisher noch funktionierende Geschäfte und Unternehmen kommen ins Schleudern, da ausländische Kunden möglicherweise aufgrund der Kontrollen auf ihr Geld warten müssen oder es gar nicht bekommen können. Der Außenhandel kommt also zum Erliegen.
Für ein Land, daß einen Großteil seines Bedarfs an Energie, Medikamenten und auch Nahrungsmitteln importiert, der Auftakt zu einer Katastrophe brueghelschen Ausmaßes. Und damit meine ich ausdrücklich den,,Höllen-Brueghel”.

Aber die Eurogruppe möchte den Griechen nicht trauen, da die ja bisher nichts umgesetzt hätten. Nun ja, wie auch, wenn man als Regierung noch zu nichts gekommen ist?
Und wenn einem Typen wie Schäuble nicht vertrauen wollen, also Leute, die sich an 100.000 Euro im Koffer oder in der Plastiktüte nicht mehr erinnern können vor lauter Korruption in ihrer Amtszeit – ist das nicht eher ein gutes Zeichen?
Es könnten auch DM gewesen sein, um die es da damals ging, aber ich kann mich da nicht mehr dran erinnern. Herr Schäuble kann es ja auch nicht.

Das Verhalten der nicht-griechischen Seite macht völlig klar, daß man die Regierung unter Tsipras weiterhin nicht anerkennen und ihren Sturz provozieren möchte. Die sind ja auch demokratisch gewählt. Übrigens würden inzwischen 46% aller Griechen diese Partei wählen, gäbe es Neuwahlen – das sind 10% mehr als noch im Januar. Ich hatte letzte Woche erwähnt, daß das griechische Oxi Arschkarten in Europa verteilt hat – und zwar nach Brüssel und Berlin. Exakt da liegen sie auch immer noch.

Schäubles Reformen

So sehen die Reformen aus, die der schwäbische Streitwagen ihrer Kanzlerigkeit, Angela der Alternativlosen, tatsächlich im Kopf hat.
Erschienen im Tagesspiegel, Liveticker vom 12.7.2015
Zeichnung: Klaus Stuttmann

Frau Merkel hätte es heute in der Hand, sich einmal in ihrem verpfuschten Leben nicht als willenlose Kanzlersimulation zu erweisen, sondern sich als vernünftige und vor allem europäische Politikerin zu präsentieren.
Indem man den griechischen Forderungen nach einem Schuldenschnitt nachgibt, auch wenn das innenpolitisch Ärger bedeutet.
Indem man ein ordentliches Investitionsprogramm auflegt, um Griechenland binnen der nächsten 5 Jahre aufzubauen und nicht mit sinnlosen Sparmaßnahmen einem finanziellen Clusterbombing zu unterziehen, bis in dem Land die letzten überlebenden Rentner den Asphalt von der Straße lecken müssen.
Indem man das Problem als europäisches Problem behandelt und nicht als das starrsinnige Ausfechten von Marktideologien auf dem Rücken einer ganzen Nation.

In Finnland haben die ,,Wahren Finnen” – das ist die finnische Variante der AfD – gestern angekündigt, ein weiteres Hilfspaket nicht mittragen zu wollen. Ja, in Finnland sitzen Nationalisten in der Regierung, die von der falschen Sorte. Ein Umstand, den man der Regierung in Athen auch schon mehrfach vorgeworfen hat, denn da regieren ja auch Faschisten mit.
In Ungarn, unter der offen rechten Regierung eines Herrn Orban, scheint das übrigens keinen zu stören, zumindest wird da in der Presse verschämt drüber geschwiegen. Vom Erstarken eines Front National in Frankreich reden wir da mal gar nicht. Europa sollte durch die gemeinschaftliche Währung vereinigt werden, zumindest war das der Plan. Aber ohne eine politische Union ist eine Währung einfach nur Papier. So identitätsstiftend der Dollar für US-Amerikaner ist, so gefährlich ist der Euro inzwischen für das Europa des Friedens und der Kooperation der letzten 70 Jahre geworden.

Frau Merkel könnte sich heute abend hinstellen und einfach auf die kleineren Euro-Staaten pfeifen. Es ist verständlich, daß die Finnen, mit einem Staatshaushalt von ganzen 50 Milliarden Euro, nicht unbedingt weiter mitmachen wollen.
Es ist ebenso verständlich, daß auch die Esten, die Letten und die Litauer nicht weiter mitmachen wollen, denn diese Länder haben ihre Bevölkerungen ebenfalls schwer bluten lassen für ,,Reformen”. Also mehr Sklaverei für den Markt für weniger Geld.

Aber warum sollte sich Deutschland daran stören?
Warum sollte der Exportweltmeister, der Hauptverursacher des europäischen Handelsungleichgewichts, sich nicht da hinstellen können und sagen: ,,Die paar Deckel übernehmen wir”?
Wir hängen ohnehin mit Milliarden drin, da kommt es auf 10 oder 12 Milliarden mehr auch nicht an – und größer wäre der Anteil der genannten Länder am Gesamtpaket nicht. Von dem übrigens keiner weiß, wie groß es genau werden soll. Es könnten 74 Milliarden sein, vielleicht aber auch 100.
Aber machen wir uns nichts vor: Ob gebürgt oder per Schuldenschnitt realisiert, das bisherige Geld sehen wir ohnehin nie wieder.
Einen Teil der zusätzlichen Kosten drücken wir dann den Franzosen auf, denn die Regierung Hollande spricht sich bereits seit einer Woche für weitere Hilfen für Griechenland aus. Diese Gelegenheit sollte man politisch nutzen. Ich würde es tun, wäre ich Kanzler.

Merkels Alternativlosigkeit läßt sie auswegslos zurück. Sieht sie das nicht ein, wird sie Europa zerstören.

Die unsägliche Starrsinnigkeit der alternativlosen Politik der deutschen Kanzlerin gefährdet Europa als Gesamtkonstrukt. Bereits jetzt ist Frau Merkel in einer Position, aus der sie nicht unbeschadet herauskommen kann. Stimmt sie für einen Schuldenschnitt, geht das gegen ihre Aussagen. Stimmt sie dagegen, ist Griechenland de facto aus dem Euro ausgestoßen. Die EZB wird die Nothilfen einstellen, das worst-case-Szenario des ,,graccident”, also des ungeordneten Herausfallens Griechenlands aus der Eurozone, wird sich realisieren. Auch etwas, daß Frau Merkel kategorisch ausgeschlossen hatte. Danach wird das große Blame-Game beginnen.
Sollte jetzt über die Querelen um Griechenland auch noch die Achse Berlin-Paris diplomatisch beschädigt werden, ist es endgültig Zeit, Frau Merkel und ihre Alternativlosigkeit in den politischen Mülleimer der Geschichte zu befördern, und das dann sehr schnell!
Schon die bisher erteilte Absage der deutschen Kanzlerin an die Demokratie und ihre von Bürgern ausgehenden Prozesse in Europa ist nicht länger hinnehmbar.

Es geht seit Monaten nicht um Griechenland. Es geht im Kern um die Allmacht der Märkte über alle Aspekte menschlichen Lebens und um die Ohnmacht der Politik. Es geht um Demokratie an sich und die Frage, wie es denn mit den europäischen Werten von Solidarität und Gemeinschaftlichkeit in Wahrheit so aussieht.
Falls diese Ansicht jemandem zu übertrieben erscheint: Auch hier habe ich durchaus journalistisch erfahrene Unterstützer.

Der Kontinent Europa hat noch einmal Gelegenheit, sich dem Streben des globalen Wirtschaftsfaschismus der transnationalen Konzerne nach offener Übernahme der Herrschaft zu widersetzen. In den nächsten Tagen werden Weichen gestellt, die eine viel größere Zukunft betreffen.
Die Idee Europa hat ebenfalls noch eine klitzekleine Chance. Aber nur, wenn Griechenland gerettet wird. Ob mit einem Euro oder ohne einen Euro, ist dabei nicht einmal sonderlich relevant.
Man muß heute und in den nächsten Tagen nur einfach mal das Richtige tun. Für ein Land. Für ein Volk. Für einen Kontinent.

 

Kleines Update: Wie ich sehe, hat Henrik Müller im Spiegel eine Analyse der aktuellen Situation geschrieben. Ich halte meist nicht besonders viel von den Dingen, die dieser Mann schreibt, aber auch hier kommt eine Passage vor, die ich für sehr betonenswert halte:

Deutschland und Frankreich stehen sich in gegnerischen Lagern gegenüber. Eine Grundkonstante der europäischen Einigung könnte dauerhaft beschädigt sein

Da bin ich mir mit ihm einig. Wenn jetzt nach einem Grexit in der deutschen Presse noch einer Merkels Kopf fordert, gründe ich doch noch eine eigene Partei 😉

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