Damokles und die Dinosaurier

„Wachsen im geistigen Sinne bedeutet nicht, größer werden, sondern kleiner werden.”
Sören Kierkegaard

Das Gesetz des abnehmenden Ertrages hängt über unserer Gesellschaft wie das sprichwörtliche Damoklesschwert. Mit dem Unterschied, daß Damokles sich der Gegenwart des Schwertes vollkommen bewußt war, nachdem er auf dessen Anwesenheit höflich aufmerksam gemacht wurde.
In der globalen Industriegesellschaft ist das üblicherweise nicht der Fall. Falls man mal irgendwelchen Leuten sagt: „Hey, guck mal, da oben – ein Schwert!” dann heben die meisten nicht einmal die Köpfe. Denn es könnte ja sein, daß der Sprecher recht hat, und wer möchte schon ein Schwert über seinem Kopf hängen haben?
Es gibt noch eine weitere, sehr weit verbreitete Reaktion, die sich in Sätzen manifestiert wie: „Wo? Ich sehe kein Schwert.”
Ob man den Kopf jetzt erst gar nicht hebt, um hinzusehen, oder das Schwert glatt wegleugnet, ist letztendlich egal. Es ändert nichts an der Tatsache, daß es eben da ist.

Der technologische Fortschritt, wie das so genannt wird, hat seine Kosten, wobei das Wort „Kosten” hierbei mehr als nur finanzielle Aspekte meint, versteht sich. Die von mir angesprochene Externalisierung, die heute in jedem Großkonzern weltweit massiv genutzt wird, bezieht sich in der jeweiligen Bilanz natürlich aufs Finanzielle. Aber die Kosten unseres sogenannten Fortschritts sind in den allermeisten Fällen soziologische Kosten. Die Kernenergie ist dafür ein perfektes Beispiel.

Kaum hatte man entdeckt, daß man Atomkerne überhaupt spalten kann, wurde ein erster Versuchsreaktor gebaut. Nach heutigen Maßstäben ein Laborversuch, den kein Mensch mehr durchführen würde, schon deshalb, weil keine Versicherung der Welt der Universität das erlauben würde und ohne Versicherung würden solche Experimente heute nicht mehr stattfinden. Auf jeden Fall wurde dann aus dem Nachweis der Kernspaltung sehr schnell eine Pilzwolke über zwei japanischen Städten und unzählige weitere über der Südsee, der Wüste Nevadas und Wasweißichnichtstan in der Sowjetunion.
Die zivile Nutzung der Kernkraft, immer wieder als das Non plus ultra angepriesen in den 50er Jahren, erwies sich schnell vor allem als eins: Teuer.
In Deutschland hatten die Energiekonzerne in den 60ern eigentlich nur ein geringes Interesse an Kernenergie, denn schließlich würde man sich damit ja einen riesigen Konkurrenten für die hauseigene Kohle in den Konzern holen. Die Lösung der Regierung war klar, man beschloß, das ganze Kernenergiegeschäft massiv zu subventionieren. Auch hier gab es keine Versicherung, die bereit war, das Risiko der Absicherung eines Kernmeilers auf sich zu nehmen. Also schuf man Ausnahmen in Gesetzen, damit die Dinger trotzdem gebaut werden konnten. Ja, Kernkraftwerke sind üblicherweise nicht versichert, aber man fahre mal mit einem unversicherten Auto durch die Gegend – das gibt Ärger!
Man subventionierte Baukosten, machte Rückstellungen steuerabzugsfähig – und Rückstellungen sind eine eher fiktive Größe – und ließ sich in Amerika und Europa allerhand einfallen, um die Atomenergie zum Ticken zu bringen. Was sie dann schließlich auch tat. Allerdings kamen dann hier und da ein paar Sorgen auf.

1978 verkannten durchaus vernünftig geschulte Ingenieure die Situation in einem Kernkraftwerk und bekamen so mehrere Stunden nicht mit, daß in einem der Reaktorbehälter ein permanenter Kühlmittelverlust aufgetreten war, der natürlich mit dem Trockenfallen der Brennstäbe in eine Kernschmelze mündete.
Der Zwischenfall von Three Mile Island ging als die erste große nukleare Beinahe-Katastrophe in die Geschichte ein. Auf der INES-Skala für nukleare Katastrophen erreichte Three Mile Island eine 5, die höchste Einstufung ist 7.
Dabei war das bei weitem nicht der erste Zwischenfall, sondern nur der erste, der in den USA und Europa einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurde.
Schon 1957 gab es im britischen Windscale, einer Anlage, die zur Plutoniumerzeugung für britische Kernwaffen benutzt wurde, einen Brand, bei dem erhebliche Mengen Radioaktivität freigesetzt wurden. Auch dieses Ereignis liegt auf der Katastrophen-Skala bei 5. Die gesamte Anlage wurde in Sellafield umbenannt und ist weiterhin in Betrieb. Zwar ist der Reaktor abgeschaltet, aber auf dem Gelände werden heute Brennelemente hergestellt und unter anderem hochradioaktive Abfälle verglast, all dies sehr zur Freude der Bewohner der Gegend und der Irischen See, in die die Abwässer dieser Monstrosität eingeleitet werden.

In den eher ökologischen 70ern mit ihren Energiekrisen und jeder Menge Büchern über die Frage, wo das denn noch alles hinführen soll mit der Industriegesellschaft, war Three Mile Island eine Initialzündung der Anti-Atomkraft-Bewegung.
In den 50ern hätte man das unter den Teppich gekehrt und von Arschlöchern wie McCarthy zur Geheimsache erklären lassen. Kernenergie, so wurde deutlich klar, ist etwas, das keine Fehler verzeiht.
Am 26. April 1986 kam es dann zu der Katastrophe, die das Bild der zivilen Kernkraft bis heute prägt und den endgültigen Untergang dieser Form der Energiegewinnung als politisches Ziel bedeuten sollte.
Der Reaktor des Atomkraftwerks Tschernobyl, damals in der Sowjetunion, heute Ukraine, wurde von den diensthabenden Ingenieuren mehr oder weniger in die Luft gesprengt. Nicht absichtlich, natürlich.
Man nennt so etwas „Verkettung unglücklicher Umstände”. Eigentlich war das ganze ein Sicherheitstest. Ironie der Geschichte.

Die größte Atomkatastrophe des Planeten war die Folge eines Sicherheitstests. Soweit zur Sicherheit.

Das überhitzte Kernmaterial des Kraftwerks zertrümmerte die Reaktorhalle und stieß eine Wolke aus Flammen und Spaltmaterial aus, die so radioaktiv war, daß die unmittelbar in der Nähe liegende Stadt Prypjat heute noch im Dunkeln leuchtet. Die Sowjetunion hielt den Zwischenfall geheim.
Bis dann einige Tage später in einem schwedischen Kraftwerk der Alarm losging. Die Detektoren hatten massiv erhöhte Strahlung registriert. Die schwedischen Techniker, sich keiner Schuld bewußt, begannen hektisch mit Katastrophenprotokollen und suchten nach dem Fehler. Aber es gab keinen, jedenfalls nicht bei ihnen. Die Strahlungswolke aus Tschernobyl war in Schweden angekommen, fein verteilt in der höheren Atmosphäre. Das dortige AKW lag im Fallout. Damit wurde die bisher größte Katastrophe der Menschheitsgeschichte erst öffentlich. Die Strahlungswolke war um den halben Planeten nachweisbar, während sich das fein zerstäubte Material ausbreitete. Bei der Absicherung der nuklearen Hölle starb eine unbekannte Zahl von sogenannten Liquidatoren, die von den Sowjets dorthin befohlen worden waren, um die Trümmer zu räumen. 30 Sekunden mit einer Schaufel auf den Dachresten der Reaktorhalle – ich hätte mich da wohl eher erschießen lassen. Die genaue Anzahl der Todesopfer ist bis heute Verschlußsache.
Das Gebiet um das AKW ist noch heute Sperrgebiet und wird das auch die nächsten Jahrhunderte bleiben. In Deutschland ist Wildfleisch aus dem Bayerischen Wald noch immer derartig belastet, daß es geprüft und oft genug nach Strahlenschutzverordnung vernichtet werden muß.

Die deutsche Öffentlichkeit erfuhr – viele wohl erstmals – den Namen eines Mannes, nämlich den von Henri Becquerel. Dieser Herr bekam Anfang des 20. Jahrhunderts zusammen mit Marie Curie den Nobelpreis der Physik für die Entdeckung der Radioaktivität, nach ihm ist die heutige SI-Einheit zur Messung von Strahlung benannt. Überhaupt waren die Becquerels eine erstaunliche Familie. Sowohl der Vater als auch der Großvater, ebenso der Sohn und ein Onkel von Monsieur Becquerel waren Physiker, und zwar durchaus bekannte. 1986 wurden in Zeitungen Becquerel-Werte für Gemüse abgedruckt, ein recht gespenstisches Szenario.

Der Ukraine half das wenig, sie mußte im Jahr 2008 noch etwa 5% ihres jährlichen BIP für die Bekämpfung der Folgen des GAU aufwenden. Doch auch hier ergaben sich neue Erkenntnisse. Auf einer Strahlungskarte sieht das Gebiet rund um Tschernobyl nicht einheitlich aus, sondern mehr wie ein Leopardenfell. Es gibt Orte, die noch jetzt so extrem verstrahlt sind, das man sie selbst mit Schutzanzug nicht unbedingt betreten möchte.
Fünf Kilometer entfernt davon könnte man Gemüse anbauen und vielleicht sogar essen – was man inzwischen in Versuchsfarmen hier und da tut. Die Strahlung war derartig stark, daß selbst Pflanzen abstarben und eigentlich sind Pflanzen jeglicher Sorte ziemlich zähe Hunde, wenn man das mal so sagen kann. Aber die Flora um Tschernobyl erholt sich allen Erkenntnissen nach erstaunlich gut. Auch die Tierwelt hat die Katastrophe überlebt. Es gibt jede Menge Mutationen, viele von ihnen natürlich nicht lebensfähig. Aber durch die höhere Generationenfolge bei Tieren sind in diesem menschenleeren Gebiet tatsächlich Wildpopulationen ansässig, die sowohl gesund als auch zahlreich sind. Die Natur an sich, so zeigt uns dieses Desaster deutlich, übersteht scheinbar alles. Der Mensch hingegen weniger.

Als im Jahr 2011 bei Japan der Ozeanboden bebte und es daraufhin zu einem Tsunami kam, war eines seiner Opfer das AKW in der Präfektur Fukushima. Die Japaner haben Erfahrung, sowohl mit Erdbeben als auch mit Tsunamis, denn immerhin verehren diese Leute einen Vulkan als heilig und Tsunami ist ja sogar ein japanisches Wort und bedeutet soviel wie „schnelle Welle im Hafen”.
Außerdem sind Japaner normalerweise sehr diszipliniert und sie sind recht gute Ingenieure. Diese Leute neigen üblicherweise nicht zur Panik.
Trotzdem entwickelte sich in Fukushima eine Katastrophe, die in ihrem Ausmaß noch heute unüberschaubar ist. Die Techniker leiteten beim Beben nach den vorhandenen Notfallprotokollen die Abschaltung des Atomkraftwerks ein, was auch durchaus planmäßig vonstatten ging. Aber der Tsunami zerstörte dann die Energieversorgung des Atomkraftwerks und damit fiel die Kühlung der Anlage aus. Folge davon war – soweit man das bisher beurteilen kann – die Kernschmelze oder teilweise Kernschmelze in mindestens einem, wahrscheinlich aber mehreren Reaktorblöcken von Fukushima Daiichi. Sowohl der Betreiber der Anlage, Tepco, als auch die Regierung Japans versuchten hier ebenfalls, das wahre Ausmaß der Schäden zu vertuschen und herunterzuspielen. Sie versuchen es immer noch.
In Deutschland waren Geigerzähler ausverkauft – was deutlich darauf hinweist, daß die deutsche BILDvölkerung© auch 25 Jahre nach Tschernobyl immer noch nicht weiß, was Radioaktivität eigentlich ist oder das Japan ungefähr 13.000 Kilometer von Europa entfernt ist und nicht mal auf derselben Kontinentalplatte liegt.
Ich vermute, daß Leser der Springer-Presse auch Massenselbstmord im Stadtpark begehen würden, wenn es nur in Schlagzeilen angepriesen wird, die groß genug sind. Ein Experiment, das man durchaus mal durchführen sollte, wie ich finde.

Insgesamt ist Fukushima eine lokalere Katastrophe. Die Technik hat nur das nicht in den Griff bekommen, was man im Fachjargon ,,Restzerfallswärme” nennt.
Wer wie ich noch antike Herdplatten benutzt und nicht mit Induktion oder moderneren Ceranfeldern rummacht, kennt das. Man stelle die Platte aus, bevor das Essen fertig ist, die Restwärme kocht das schon weiter. Diese Restwärme lag in Fukushima bei einer Leistung von etwa 30-50 MW, also Megawatt. Damit kann man eine ganze Menge Herdplatten versorgen. Mir persönlich ist es ein Rätsel, wie in einem Atomkraftwerk die Kühlung ausfallen kann, weil nicht genug Energie da ist.
Ich hätte ja angenommen, daß man derartige Energiemengen einfach mal benutzt, um vielleicht die eigene Kühlung zu betreiben.
Stattdessen – so fand ich dann bei Recherchen heraus – werden derartige Anlagen mit Dieselgeneratoren betrieben und die hatte der Tsunami nun dummerweise weggespült. Ingenieurstechnisch ist die Sache auch nicht ganz unlogisch, denn immerhin soll der Kühlkreislauf ja auch noch funktionieren, wenn eine Katastrophe eintritt. Was übersetzt heißt, daß das Kernkraftwerk in dem Moment nicht mehr funktioniert. Aber warum gibt es dann keine doppelten Systeme für die Primärkühlung? Eines, dessen Pumpen mit der Energie der Restzerfallswärme betrieben werden können und eines mit Dieselbetrieb?
Damit hätte Fukushima nie stattgefunden. Ich kenne die Antwort hierauf nicht, ich bin kein Kraftwerksingenieur oder -architekt. Aber ich vermute mal, die Antwort heißt: Kosten. Ein doppeltes Kühlsystem bzw. eine doppelte Energieversorgung eines solchen kostet natürlich mehr Geld. Außerdem war Fukushima ein altes Kraftwerk. Die Ironie der Geschichte will es, daß der Komplex eigentlich im April 2011 zur Abschaltung vorgesehen war, wegen Überalterung. Der Tsunami hat diesen Plan nicht berücksichtigt, er kam im März.

Aus Fukushima läßt sich die Lehre ziehen, daß Kernspaltung schlicht nicht beherrschbar ist, denn eigentlich hatten die Japaner alles richtig gemacht. Es gab Notfallprotokolle, diese wurden korrekt durchgeführt und erbrachten das gewünschte Ergebnis, nämlich die Abschaltung des AKW. Im Gegensatz zu Tschernobyl ist hier nichts aus dem Ruder gelaufen, die Technik war alt, aber sie funktionierte. Bis dann eben die Welle kam und die Kühlung versagte. Das sogenannte Restrisiko der Nuklearenergie ist schlicht nicht tragbar für die menschliche Gesellschaft. Es ergibt keinen Sinn, möglicherweise ganze Landstriche für Jahrhunderte bei Katastrophen zu verlieren und Millionen Menschen in Gefahr zu bringen, nur um ein paar Gigawattstunden Strom zu erzeugen. Der Preis ist zu hoch.

Technologie kommt immer mit einem Preis. Den zahlt die Gesellschaft, nicht die Konzerne.

Überall in der Geschichte des 20. Jahrhunderts finden sich Beispiele dieser Art. In den 50er und 60er Jahren war das „Pflanzenschutzmittel” DDT der absolute Bringer.
Wirksam gegen den Maikäfer, den Ulmensplintkäfer – der einen Pilz überträgt, der wiederum zum Ulmensterben führt – gegen den Borkenkäfer und überhaupt wahrscheinlich auch gegen Kommunisten und Wahlniederlagen der Republikaner, wurde dieses Zeug in großen Mengen und mit großer Begeisterung überall eingesetzt.
Gut, diese Substanz tötete eigentlich so ziemlich alle Insekten, was in der Schweiz dazu führte, daß Bienenzüchter entschädigt werden mußten. Und der Maikäfer war schlau genug, einfach dahin auszuweichen, wo man noch nicht gesprüht hatte. Aber die Firma Geigy machte aus solchen Aktionen trotzdem einen Propagandaerfolg und durfte weiter produzieren und sprühen.
In den USA wurden die besagten Ulmen mit derartigen Mengen DDT behandelt, daß sämtliche Vögel gleich tot mit aus den Bäumen fielen. Woanders trieben Fische in Rückenlage den Fluß hinunter, nachdem in der Landwirtschaft ordentlich gesprüht worden war. Schließlich drang an die Öffentlichkeit, daß das fettlösliche DDT sich in der Nahrungskette anreichert – was den Herstellern zu diesem Zeitpunkt längst bekannt war.
All diese Dinge führten zur Veröffentlichung eines des ersten ökologischen Katastrophenbücher, nämlich Silent Spring von Rachel Carson im Jahre 1962.
Die Biologin Carson stellte hier die Verwüstungen in der Vogelwelt und der sonstigen Ökologie durch Pestizide wie DDT deutlich dar, das Buch gilt heute als einer der Ausgangspunkte der globalen Umweltbewegung.
Letztendlich wurde nach einer Reihe von Klagen die Anwendung von DDT in den USA verboten, Europa folgte in den 70er Jahren allmählich nach. Eingesetzt wird es hier und da heute noch, besonders zur Malariabekämpfung.

Etwas wie Dichlordiphenyltrichlorethan, so der volle Familienname des allseits beliebten Gifts, schien also über weite Teile des letzten Jahrhunderts eine gute Idee zu sein. Dummerweise stellen sich aber die negativen Folgen als viel zu gravierend heraus. Alles, was unsere technologische Zivilisation im Rahmen des Projekts „Fortschritt” unternimmt, hat einen soziologischen Preis.

Überall vereinen sich die Apokalyptischen Reiter des Industriezeitalters.

Milliarden werden in die Pharmaforschung gesteckt, gerne querfinanziert aus der öffentlichen Hand. Das Ergebnis sind Antibiotika, die spektakuläre Erfolge bringen. Bis sie dann mit der Gießkanne im Schweinestall, auf der Hühnerfarm und auf Patienten mit Schnupfen verteilt werden.
Dann hat man am Ende so etwas wie MRSA oder die Rückkehr der Tuberkulose in den Vereinigten Staaten. Die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene schätzte 2009 die Anzahl der Toten durch Krankenhausinfektionen auf etwa 40.000, ein guter Teil davon vermutlich durch resistente Keime wie eben MRSA verursacht – was aber noch immer nicht im Totenschein vermerkt werden muß. Eines Tages wird es die längst überfällige Pandemie geben, und dann stehen wir allesamt dumm da, weil wir keine Pfeile mehr im Köcher haben.

Atomkraft erzeugt eine Menge Strom pro Kilogramm Uran, aber belastet uns mit Strahlung und jeder Menge hochgefährlichen Mülls, von dem keiner weiß, wohin damit. Außer vielleicht ins englische Sellafield, aber das löst das Problem der Lagerung auch nicht.
Die chemische Industrie bringt durchaus nützliche Dinge hervor, aber sie verwandelt seit 60 Jahren die Atmosphäre und die Flüsse des Planeten in ein riesiges Freiluftlabor, und wir sind die Ratten. Niemand hat jemals untersucht, wie die geschätzt etwa 50.000 unterschiedlichen Verbindungen mit lustigen, langsilbigen Namen eigentlich so auf Menschen wirken.
Ganz besonders dann, wenn sie über lange Zeit kumulieren und in Kombination wirken. Eine Untersuchung dieser Art überfordert jedes Labor. Statt aber eben vorsichtig mit all diesem Zeug umzugehen, setzt die Industrie auf eine recht simple Methodik: Wenn sich einer beschwert, muß er erst mal nachweisen, daß das jeweilige Zeug gefährlich ist.
Dann kann die Industrie das hinterher abstreiten, für den zu erwartenden langwierigen Prozeß noch Rücklagen bilden und die wieder von der Steuerlast abziehen. Die Öffentlichkeit zahlt also eigentlich auch noch dafür, sich als Versuchskaninchen mißbrauchen lassen zu dürfen.
Dabei wäre es ja genauso simpel, wenn man von der Industrie einen Nachweis verlangte, daß ihre Produkte ungefährlich sind, bevor sie die in Massen auf den Planeten loslassen darf.

Hersteller von Kunststoffen aller Art geben über die genaue Zusammensetzung ihrer Produkte keine Auskunft. Währenddessen sammeln sich in den Ozeanen der Erde Mikro-Plastikpartikel in einer Menge, mit der man einen Kontinent aufschütten könnte.
Wir haben keine Ahnung, was damit genau passiert, denn wir wissen ja meistens nicht einmal, wie das Zeug chemisch aufgebaut ist. Man könnte natürlich einfach weniger von dem ganzen Kunststoffkram produzieren, aber man schlage das mal der Politik oder der Industrie vor.
Die Kosten für die Beseitigung von Umweltschäden, seien sie bewußt oder unbewußt herbeigeführt, werden üblicherweise nicht von den Firmen getragen, die mit entsprechend gefährlichen Produkten satte Profite erzielen. Die Konzerne erhöhen ihren Profit durch den Prozeß, den ich soziologische Externalisierung nenne.
Die – oft langjährigen – Folgekosten eines auf dem Papier profitablen Unternehmens werden der Allgemeinheit zugeschoben, während Konzerne über Rückstellungen noch Steuervorteile genießen und somit der Allgemeinheit noch mehr Finanzkraft entzogen wird.

Sprechen Konzerne von „höherer Effizienz” oder „neues Produkt”, ist Vorsicht geboten.

So hat es der Energiekonzern E.ON gemacht.  Mit der neuen Firma „Uniper” werden natürlich auch alle Risiken der nuklearen Stromerzeugung auf die neue, ungeliebte Tochter übertragen, wie praktisch.
Unser Bundeswirtschaftsminister, der Herr Gabriel, ist auch noch so abgrundtief dämlich, das als konsequenten Umbau zu loben. Konsequent ist das allerdings. Es ist vermutlich nur eine Frage der Zeit, bis diese Firma Insolvenz anmelden wird und die deutsche Gesellschaft auf den enormen Kosten sitzen bleibt, die der Rückbau der Atomkraft mit sich bringen wird. Ganz besonders, wenn man bedenkt, daß der Chef des Energieriesen RWE jetzt zugegeben hat, daß die Nuklearbetreiber die Rückstellungen, die man ja schon seit zig Jahren angerechnet bekommt, noch gar nicht haben.Der Bergbau, als eine der ältesten Industrien der Menschheit, hat schon zu römischen Zeiten Schäden angerichtet, wie man heute aus grönländischen Eisbohrkernen weiß. In den letzten 120 Jahren sind diese Schäden mit dem technischen Fortschritt massiv angestiegen. Riesige Seen aus giftigen Abwässern – die sogenannten „tailings” – werden von unzureichenden Dämmen geschützt, während die Giftlast im Boden versickert und das Grundwasser gefährdet. Manchmal bricht auch einer dieser Dämme und überflutet eine Ansiedlung in der Nähe mit verseuchtem Wasser und überzieht die umliegende Landschaft mit giftigem Schlamm.
Geschieht so etwas nach Jahren oder Jahrzehnten, ist die ursprüngliche Betreibergesellschaft des Bergwerks wahrscheinlich längst offiziell pleite und der Staat muß einspringen, also alle anderen Bürger. Der US-Bundesstaat Montana kann hiervon ein Lied singen, vielleicht auch eine ganze klingonische Oper.
Ähnlich wie die Ukraine für Tschernobyl muß auch dieser Staat für die Umweltfolgen des exzessiven Bergbaus des letzten Jahrhunderts heute noch einen guten Teil seines Etats aufwenden, ein Ende ist nicht absehbar.

Abnehmender Ertrag manifestiert sich im Bergbau in Gesteinsarten, die immer weniger von dem Erz enthalten, das man ausbeuten möchte.
Sinkt der Erzgehalt auf die Hälfte ab, muß natürlich mehr Gestein bewegt und verarbeitet werden, um dieselbe Menge an Erz zu gewinnen wie vorher. Allerdings nicht doppelt soviel Gestein, sondern ungefähr viermal so viel, das kommt immer auf die jeweilige Ressource an. Auf jeden Fall kommt hier wieder das Exponentielle ins Spiel, das Nichtlineare.
In logischer Konsequenz führt das dazu, daß solche Erzvorkommen nur noch abgebaut werden können, wenn das ganze auf möglichst großer Skala geschieht.
Nur mit Unterschieden an der zweiten Stelle hinter dem Komma läßt sich hier noch profitabel wirtschaften.
In wiederum logischer Konsequenz führt das dazu, daß in den USA ganze Bergspitzen weggesprengt werden, euphemistisch „mountaintop removal” genannt. Die gesamte Landschaft wird einer Verwüstung in großem Stil unterzogen, Zerstörung und langfristige Gefährdung steigen ebenso exponentiell an wie die Menge an taubem Gestein.

Die Kosten unseres außer Kontrolle geratenen Pseudo-Fortschritts addieren sich mehr und mehr auf, sie lasten immer schwerer auf unseren Schultern. Immer mehr bremst sich die Menschheit auf ihrem Weg in das falsche Morgen selbst aus.
Das Damoklesschwert, ob ignoriert oder nicht, hängt über den Köpfen der Menschheit und wartet auf seine Stunde. Früher sagte man, die Dinosaurier wären ausgestorben, weil sie zu groß geworden seien. Wir sind vielleicht auch Dinosaurier.

 

Update 20160418: Mir ist aufgefallen, daß ich hier “Rückstellungen” und “Rücklagen” alltagssprachlich etwas durcheinander und unscharf benutzt habe und nicht im strengen Sinne des Rechnungswesens. Ich lasse das trotzdem so stehen.

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