Das falsche Morgen (II)

„Fundamentaler Fortschritt hängt zusammen mit der Neuinterpretation grundlegender Ideen.”
Alfred North Whitehead

Letzte Woche hatte ich an dieser Stelle Herrn Kepler erwähnt, den Mann, der die Erde endgültig aus dem Zentrum des Universums in eine Umlaufbahn um die Sonne gerückt hat.
Gegen diese Vorstellung gab es durchaus Widerstand, der vor allem aus den Reihen des Klerus kam. Trotz aller gegenteiligen Indizien beschloß die Kirche, am Dogma der Unveränderlichkeit eines von Gott geschaffenen Himmels festzuhalten.
Ebenso wie früher aber war dieser Widerstand nicht nur darauf begründet, daß die beobachtbaren Fakten dem Glauben und seiner Auslegung durch eine hierarchische Amtskirche widersprachen.
Bereits Anfang des 16. Jahrhunderts hatte die römisch-katholische Kirche mit der Reformation durch Martin Luther eine schwere Niederlage hinnehmen müssen, aber der schwerste Schlag, den dieser Mann der Kirche versetzte, war nicht sein Protest gegen den Ablaßhandel oder seine Thesen.
Der schwerste Schlag Luthers gegen die Fundamente der damaligen Kirchenwelt war seine Übersetzung der Bibel ins Deutsche.
Erstmals seit Entstehung des christlichen Glaubens und seiner Ausformung ab dem 3. Jahrhundert ndZ verlor der Klerus damit etwas, das für mächtige Institutionen damals genau so wichtig war wie heute auch: das Informationsmonopol.

Plötzlich konnten sich Menschen auf Dorfplätze stellen und anderen aus der Bibel vorlesen – ein damals völlig normaler Vorgang, denn natürlich waren in dieser Zeit noch sehr viele einfache Menschen völlig unbewandert in der Kunst des Lesens und Schreibens. Aber das Bildungswesen war hinreichend fortgeschritten, um dafür zu sorgen, daß in einer Dorfgemeinschaft aus mehreren hundert Personen sicherlich einer dabei war, der halbwegs lesen konnte und kein Priester war.
Die Erfindung des Buchdrucks etwa ein halbes Jahrhundert vor Luthers Auftreten tat sein übriges dazu. Luthers Bibelübersetzung kam zu einer Zeit, in der die Anzahl an Druckereien und Verlagen in Europa geradezu explosionsartig anstieg. Das vorher in Klöstern gelagerte Wissen verbreitete sich in einer Geschwindigkeit, die vorher undenkbar gewesen war.
Und da es natürlich mehr zu lesen gab, wollten die Leute auch mehr lesen und dazu mußte man es lernen. Diejenigen, die es ohnehin konnten, kamen plötzlich  exponentiell mit neuem Wissen in Kontakt, was zu neuen Gedankengängen führte, darunter zwangsläufig auch einige, die den damaligen Inhabern von Macht und Einfluß ungelegen kommen mußten.

Aber das, was man später Renaissance nennen würde, war mit dem Aufkommen gedruckter Bücher und neuer Ideen, um sie zu füllen, nicht mehr aufzuhalten.
Zur gleichen Zeit, in der ein Kepler die Planetenbahnen elliptisch machte, entdeckte ein Galilei die Sonnenflecken, was ihn ebenfalls in einen eher unfreundlichen Kontakt mit der Kirche bringen sollte, genauer gesagt, dem Jesuiten Christoph Scheiner.
Nach kirchlicher Auffassung konnte die Sonne keine Flecken haben, denn schließlich war sie von Gott geschaffen. Scheiner versuchte, die Unveränderlichkeit des Himmels zu retten, indem er postulierte, die von Galilei beobachteten Phänomene seien Satelliten der Sonne, keine Flecken auf der Sonne selbst.
Witzigerweise gilt dieser Mann heute als Mitentdecker der Sonnenflecken.
Seit Beginn des 16. Jahrhunderts befand sich die nahezu allumfassende Macht der Kirche auf dem Rückzug und kein Dogma von Unveränderlichkeit konnte daran etwas ändern.

Kepler hatte in seinem Werk „Astronomia nova” eine unsichtbare Kraft postuliert, die die Planeten auf ihrer Bahn halten sollte.
Ein anderer Mann nahm diesen Gedanken wieder auf. Im Gegensatz zur letzten Woche kein Grieche, denn Isaac Newton war Engländer und ist meines Wissens niemals in Griechenland gewesen.
Wir alle kennen die Geschichte mit dem Apfelbaum, unter dem ein grübelnder Newton sitzt, das Wesen der Welt ergründen möchte und hierbei von einem fallenden Apfel gestört wird, was unseren Denker dazu animiert, auf der Stelle die Gravitation zu erfinden.
Nun, ganz so einfach ist diese Angelegenheit wohl nicht verlaufen.

Newton war nicht nur Physiker oder zumindest das, was wir heute so nennen würden, er war auch Mathematiker. Zur damaligen Zeit ist sein Tätigkeitsbereich als Philosophie beschrieben, was ihn persönlich sehr sympathisch macht, denn in diesem Sinne bin ich persönlich wohl ebenfalls ein Philosoph.
1619 veröffentlichte sein Vorgänger Kepler das Buch „Harmonices Mundi” (Weltharmonik), in dem er sein drittes Bewegungsgesetz beschreibt.
Dieses Buch muß Newton in die Hände gefallen sein, denn 1687 veröffentlicht er – nach bereits einigen vorangehenden Arbeiten auf dem Gebiet der Optik und der Mathematik – seine „Philosophia naturalis principia mathematica” (Mathematische Prinzipien der Naturphilosophie) – ein weiteres der wohl bedeutendsten Bücher der letzten 500 Jahre. Eine weitere Runde in der Entwicklung der Wissenschaften war eingeläutet.

Newton berechnet hier eine generelle Anziehungskraft als eine Eigenschaft massiver Körper – die Gravitation ist gefunden. Ob der Apfel damit wirklich etwas zu tun hatte, wissen wir nicht, aber die Geschichte hält sich trotzdem hartnäckig.
Bereits zu Lebzeiten wird Newton für seine Errungenschaften mit einem Sir geadelt, durch seine Arbeiten auf den Gebieten der Optik, Mathematik, Astronomie und Physik gilt er heute allgemein als der Begründer der modernen Physik und wird demzufolge von Eierköpfen und Nerds gleichermaßen quasi gottgleich verehrt.
Allerdings muß man da Abstriche machen, denn meine Schulzeit wäre ohne das Wissen um so etwas wie Infinitesimalrechnung sicherlich etwas glücklicher verlaufen.
Es ist anzumerken, daß derselbe Sir Isaac Newton Zeit seines Lebens nach dem Stein der Weisen gesucht haben soll, ein eher alchemistisches Unterfangen. Auch glaubte Newton fest daran, daß die Welt von einem göttlichen Schöpfer erschaffen worden sei, insofern steht er irgendwo auf der Schwelle zwischen wissenschaftlich bestimmter Moderne und eher klerikalem Mittelalter.

Fortschritt beinhaltet immer die Veränderung des Gewohnten.

Doch auch damit war es noch nicht genug, die Ansichten über die Welt veränderten sich weiter. Das nach Newton folgende 18. Jahrhundert war gekennzeichnet von Typen wie Jean-Jaques Rousseau, Alexander von Humboldt, Immanuel Kant, Goethe, Schiller, Adam Smith,  Allessandro Volta, James Watt und Carl Friedrich Gauß
In Frankreich wurde ab 1789 die Monarchie als unpraktisch unter die Guillotine gelegt und in den britischen Kolonien in Nordamerika beschlossen Sklavenhalter wie ein George Washington, daß sie frei sein wollten von Bevormundung und brachen einen Bürgerkrieg vom Zaun, der letztlich zur Gründung der USA führen sollte.

Im Jahre 1809 wurde dann der Mann geboren, der einen weiteren Schlag gegen die Unveränderlichkeit führen würde: Charles Darwin.
Eigentlich Medizinstudent, wandte er sich auf Anraten seines Vaters der Theologie zu, deren Studium er dann auch tatsächlich mit akademischen Weihen abschloß.
Abgesehen von einem baccalaureus artium, das ist römisch für Bachelor of Arts, kam Darwin während seines Studiums aber auch in Kontakt mit Dingen, die ihn wohl schon früher fasziniert haben.
Er hörte Vorlesungen zur Botanik und wurde von einem Verwandten in die Insektenkunde eingeführt, ganz besonders in Bezug auf Käfer, die mit heute geschätzt 385 Bazillionen Arten den Löwen- oder besser, den Käferanteil aller Insekten weltweit stellen.
Darwin las Herschels Einführung in die Naturphilosophie ebenso wie Humboldts Reisebeschreibungen der Kanarischen Inseln und kam in Kontakt mit der Geologie. Im Grunde war er also so etwas wie ein Diplom-Globalist, was im Grunde exakt das ist, was ich auch studiert habe. Ein sympathischer Mann, dieser Darwin.

Sein Botanikprofessor, ein Mann namens John Stevens Henslow, wies Darwin dann auch im August 1831 darauf hin, daß der Kapitän eines Schiffes namens HMS Beagle einen naturwissenschaftlich gebildeten Begleiter suche.
Die Fahrt der Beagle sollte nicht nur in Richtung Kanaren gehen, sondern in Richtung Feuerland, also die Südspitze Südamerikas.
Eine Gegend, die nicht wegen ihres angenehmen Klimas so heißt – in Wirklichkeit ist das Eis der Antarktis hier nicht so weit entfernt – sondern wegen der vielen Feuer, die der Chronist von Ferdinand Magellan am Ufer erkennen konnte, als dieser 1520 durch die Meeresstraße segelte, die das Festland von der Tierra del Fuego, dem Land des Feuers, trennt.
Zumindest stand das wohl so in den Aufzeichnungen. Ich persönlich würde mich ja fragen, wer denn in dieser Gegend, die mit der Bezeichnung  „Arsch der Welt” recht treffend erfaßt sein dürfte, einen derartigen Feuerzauber veranstaltet haben soll.
Auf jeden Fall benannte Magellan die Meeresstraße unbescheiden nach sich und ihr Verlauf, sogar ihre Existenz, wurden von der englischen Krone jahrzehntelang als Geheimnis gehütet.

Hierhin ging also die Reise des Schiffes Beagle nach der verpätet erfolgten Abreise am 27. Dezember 1831.
Darwin folgte der guten englischen Tradition eines Lord Nelson und entpuppte sich sofort als sehr seekranker junger Mann. Auch die Cholera-Quarantäne des Schiffes vor den Kanaren dürfte ihn wenig erfreut haben, das Betreten seines eigentlichen Ziels blieb Darwin verwehrt. Für die Forschung sollte sich das als echter Glücksfall erweisen. Kleine Dinge können eben doch größere Wirkung haben, aber ich glaube, das hatte ich schon irgendwo erwähnt.

Die Reise der Beagle führte über die Kapverdischen Inseln an die Ostküste Südamerikas, von dort über die Falklands nach Feuerland und an die Pazifikküste Südamerikas, nach Valparaiso.
Darwin leistete dem Kapitän also geistige Gesellschaft, begann seine Notizbücher zu schreiben, er sammelte zahlreiche Proben und schickte sie nach Hause zurück.
In Südamerika sah er in einer Klippenformation ein Muschelband in einigen Metern Höhe und entdeckte seine ersten Fossilien, beide ebenfalls in einer Muschelformation. Darwin zog daraus den – korrekten – Schluß – das sowohl Fossilien als auch Muscheln zu ein- und demselben Zeitabschnitt gehört haben mußten. Darwin folgerte weiterhin, daß die von seinem Landsmann Charles Lyell aufgestellten Theorien über den Bau und die Entstehung der Erdkruste wohl richtig waren.

Die damalige Lehrmeinung vertrat nämlich die Ansicht, daß das Angesicht der Erde in seiner vielfältigen Form nur durch immer wieder eintretende Katastrophen denkbar sei, die die Erdoberfläche in dramatischer Weise umgestalten.
Witzigerweise wurde diese Argumentation schlagartiger, radikaler Veränderungen dadurch notwendig, daß die Erde noch immer offiziell von einem Handwerker-Gott gemacht worden war und ja erst um die 6000 Jahre alt sein sollte, ob jetzt Dienstag oder Donnerstag, ist nicht so wichtig.
Um also weiterhin am Dogma der Unveränderlichkeit göttlicher Schöpfung glauben zu können, mußte man damals die sogenannte Kataklysmustheorie heranziehen.
Eigentlich betrachteten sich die Anhänger dieser Theorie als sakulär und wollten göttliche Schöpfung aus dem Spiel lassen, aber ihre Theorie paßte einfach zu gut in das kirchliche Weltbild des damaligen Europa. Anhänger des Kreationismus führen derartige Dinge übrigens heute noch an, um ihr Weltbild zu verteidigen.

Charles Lyell vertrat hingegen die Meinung, daß die beobachtbaren Vorgänge der Geologie vollkommen ausreichten, um den Anblick der Erde zu erklären, auch unübersehbare Bänder aus Muschelschalen im Hochgebirge  – wenn man diesen Vorgängen nur genug Zeit einräumte. Also eindeutig mehr als 6000 Jahre, jedenfalls.
Damit tat er das, was alle guten Wissenschaftler tun. Er brachte Beobachtung und Erklärung unter einen Hut, denn die Hinweise auf eine nicht-junge Erde waren damals bereits erdrückend, aber natürlich mußten sie von allen Anhängern einer erschaffenen Erde ignoriert werden.
Lyell benutzte also das, was heutige Evangelikale gerne als Kunstgriff in einer Pseudoargumentation benutzen, und zog die Zeit an sich als Unterstützung seiner Argumentation hinzu. Mit dem Unterschied, daß Lyell seine Ansichten auch untermauern konnte, was dazu führte, daß sich nach seiner Hauptveröffentlichung die heute noch aktuelle Ansicht über die Entstehung und den Aufbau der Erde als Lehrmeinung sehr schnell durchsetzte. Dieses Werk, Principles of Geology, dessen erster Band 1830 erschienen war, begleitete Darwin auf seiner Seereise.

Diese führte nach der Westküste Südamerikas weiter zu dem Ort, der heute noch mit dem Namen Darwins verbunden ist: Galapagos.
Man schrieb bereits das Jahr 1835. Darwin war derweil im Regenwald gewesen, der ihn mit der unglaublichen Vielfalt der Arten faszinierte, er hatte zweimal Gebiete in den Anden erkundet und dabei ein Erdbeben erlebt, das ihm weitere Hinweise für die Richtigkeit von Lyells Theorie vor Augen führte und er war so damit beschäftigt, eine eigene Arbeit über Geologie zu erstellen, daß er den Hinweis des Leiters des Gefangenlagers auf der Galapagos-Insel Floreana, man könne hier die Schildkröten auf den Inseln an ihren Panzern unterscheiden, überhaupt nicht zur Kenntnis nahm. Auch die heute nach ihm benannten Finken sind seiner Aufmerksamkeit wohl erst einmal entgangen.

Die Beagle zog weiter über das Meer und nahm Darwin mit sich, über Tahiti und Neuseeland nach Australien und Tasmanien, über den Indischen Ozean und die Kokos-Inseln nach Mauritius, am Kap der Guten Hoffnung vorbei über St. Helena – der Exilinsel von Napoleon – wieder zurück an die Westküste Südamerikas, der Kapitän mußte noch einmal was nachmessen.
Danach ging die Reise endgültig nach Hause, über die Kapverden und die Azoren.
Die Kanaren wurden diesmal gar nicht erst angelaufen, meines Wissens hat Darwin diese Inseln nie betreten.
Im Oktober 1836, nach fast fünf Jahren Weltumsegelung, traf die Beagle wieder in Falsmouth ein. Ihr Passagier war inzwischen kein Unbekannter mehr in den englischen Wissenschaftskreisen, denn einige seiner Briefe waren von Henslow – dem Zoologieprofessor – veröffentlicht worden und hatten durchaus Eindruck hinterlassen.
Fast 800 Seiten Reisetagebuch, diverse Kisten mit in Spiritus eingelegten Viechern aller Art, weitere Kisten mit Fellen, Pflanzenproben und anderem und über 1700 Seiten Manuskripte waren das Ergebnis dieser Reise. Der Großteil der Notizen war übrigens geologischer Natur, die Zoologie nahm einen viel geringeren Raum ein.

Wenn einer eine Reise tut, dann kann er viel erzählen. Oder schreiben, wie Darwin.

Danach begann Darwin erst, so richtig zu arbeiten. Er beschäftigte sich mit Geologie, mit Medizin, Philosophie, Psychologie und Ökonomie und begann, die Reiseberichte zu schreiben, deren 3. Band – The narrative of the voyages of H.M. Ships Adventure and Beagle von 1839 – nach heutigen Begriffen ein echter Bestseller wurde und bis heute sein wohl meistgelesenes Buch ist (von dem Buch abgesehen, natürlich).
Im selben Jahr heiratete Darwin und konnte sich mit dem dazugehörenden Geld seines Vaters und Schwiegervaters ganz auf die Verarbeitung der von ihm gesammelten Erkenntnisse konzentrieren.

Weitere Reiseberichte erschienen, einer Aufnahme in die Royal Society folgte eine in den Rat der Geological Society of London und des Rats der Royal Geographical Society. Darwin veröffentlichte Bücher über den Aufbau von Vulkanen und Korallenriffen und die Geologie der von ihm bereisten Gebiete Südamerikas, was ihn bis 1846 beschäftigte.
Dann widmete sich Darwin einem seltenen Exemplar der Rankenfußkrebse, das er mitgebracht hatte und – ganz gründlicher Mann, der er wohl war – erstellte in der Folgezeit eine komplette Übersicht aller damals bekannten Arten dieser Spezies, was zu zwei weiteren dicken Büchern führte und zwei weiteren, die nicht ganz so dick waren und sich mit den fossilen Vertretern dieser Krebse beschäftigten.
Damit begründete Darwin seinen Ruf als Taxonom und dieser brachte im 1854 die Royal Medal ein, das ist ungefähr das Äquivalent zum Nobelpreis, der ja damals noch nicht erfunden war.

Doch in dieser ganzen Zeit beschäftigte er sich weiter mit einem Thema, das er immer weiter ausarbeitete und über das er 1837 bereits in einem der ersten Notizbücher, in denen er seine späteren Manuskripte entwarf, eine Skizze anfertigte. Eine später sehr berühmte Skizze.

Darwins "I think"

Darwins Skizze von 1837 zeigt unter der Überschrift ,,Ich denke…” ein Diagramm, das später als ,,Stammbaum des Lebens” einen wichtigen Teil seines Hauptwerks bilden wird.
Museum of Natural History, Manhattan

Diese Idee, das sich Arten aus anderen Arten entwickeln und sich unter Einfluß ihrer Umwelt schrittweise verändern, ja sogar, daß ganze Arten zwischendurch ausgestorben sein mußten, hatte Darwin über mehr als zwei Jahrzehnte hinweg tatsächlich nicht mehr losgelassen.
Am 24. November 1859 schließlich war das Buch käuflich zu erwerben, alle 1250 Exemplare waren vorbestellt. 23 Jahre nach seiner Rückkehr von See hatte Charles Darwin das möglicherweise unglaublichste und brillanteste Werk vorgelegt, das jemals in der Wissenschaftsgeschichte erschienen ist.
On the origin of species by means of natural selection sollte mit Abstand das berühmteste Buch des 19. und vielleicht auch 20. Jahrhunderts werden.
Die Idee einer Entstehung und Entwicklung von Arten durch Veränderung war so gegensätzlich zum kirchlichen Dogma der gottgeschaffenen und unveränderlichen Erde, wie es nur sein kann.

Aber trotzdem setzte sich die Ansicht Darwins erstaunlich schnell durch, was nicht nur seiner gründlichen Beweisführung zu verdanken ist, sondern auch der Tatsache, daß die Menschen diesen Beweis drucken und lesen konnten, bevor irgendeine Kirche hier präventiv eingreifen konnte.
1863 veröffentlichte der Mann, dessen Werk Darwin stark beeinflußt hatte und der in späteren Jahren sein Freund wurde, ein weiteres wichtiges Werk.
Geological Evidences of the Antiquity of Man (Geologische Beweise für den Ursprung des Menschen in alter Zeit) von Charles Lyell bestätigte Darwin insoweit, als auch Lyell klare Beweise dafür anführte, daß der Mensch eine Art ist, die schon viel länger auf der Erde weilt als von den Anhängern der Schöpfung gedacht.

Darwin starb im Jahre 1882 und wurde in der Westminster Abbey beigesetzt, ebenso wie Lyell bereits 1875 geehrt worden war. Darwins Grab befindet sich zu Füßen des Monuments zu Ehren des anderen großen Denkers, den ich bereits erwähnte: Isaac Newton.
Eine erste Statue für Darwin wurde bereits 1885 errichtet, ein Jahr, nachdem einer seiner schärfsten Widersacher und Leiter des Natural History Museum in London in Pension gegangen war.
Richard Owen hatte Darwins Evolutionstheorie massiv bekämpft und blieb bis zu seinem Tod ein Verfechter der von ihm entwickelten Erklärung für die Entwicklung von Wirbeltieren. Owen war Teleologe, also der Überzeugung, daß sich Lebewesen nach einem bestimmten Zweck entwickeln, einem bestimmten Plan folgen.
Mit den von Darwin beschriebenen, eher unscharfen Evolutions- und Selektionsmechanismen war diese Ansicht nicht unter einen Hut zu bekommen.

Unveränderlichkeit gilt nicht einmal für Kontinente.

Kurz vor Darwins Ableben wurde der Mann geboren, der dem Unveränderlichen endgültig den Garaus machen sollte: Alfred Lothar Wegener wurde 1880 in Berlin geboren und war zu seiner Zeit eher als Meteorologe – da haben wir sie wieder, die Wetterfrösche – und Polarforscher bekannt.
Auf jeden Fall erarbeitete Wegener ab etwa 1920 seine Theorie, die besagte, daß die Kontinente der Erde einmal in einem einzigen Kontinent vereint gewesen sein könnten.
Die Wissenschaften standen damals vor erheblichen Problemen, was die Erklärung für die Verbreitung gewisser Tier- und Pflanzenarten anging. Ganz besonders gleicher Tier- und Pflanzenarten, was ja wiederum nach Darwins Theorie auf verschiedenen Kontinenten eigentlich nicht hätte der Fall sein dürfen.
Auch die Funde von Steinkohle in der Antarktis, die sich ja nur unter tropischen Bedingungen bilden kann, waren mit der damaligen Theorie nicht zu erklären.
Die Bildung von Gebirgen und Ozeanbecken wurde zu dieser Zeit mit einem Erkaltungs- und Schrumpfungsprozeß der Erde erklärt, die Verbreitung von Tieren und Pflanzen mit versunkenen Landbrücken zwischen den Kontinenten.

Wegener hingegen zog die gerade erst entdeckte Radioaktivität in Betracht, die ja auch eine deutliche Wärmeentwicklung beinhaltet und kam so zu dem Schluß, daß die Theorie mit der erkaltenden Erde nicht stimmen konnte. Gleichzeitig fiel ihm die zusammenpassende Form der Kontinentallinien auf, am signifikantesten natürlich zwischen Südamerika und Afrika.
Auch hatten Geologen bereits im 19. Jahrhundert korrekt erkannt, daß das Material der Kontinente durchweg leichter ist als das Material der Ozeanböden. Aber wenn das der Fall war, wie konnten dann die postulierten Landbrücken einfach so versinken?
Sie konnten es nicht, wie dann auch die Forschungsreise des Schiffes Meteor im Jahr 1924 zeigte, denn hier fand man nicht die überfluteten Landbrücken, nach denen man suchte und die von Ost nach West hätten verlaufen müssen.
Stattdessen fand man einen unterseeischen Gebirgszug mit Nord-Süd-Verlauf, den mittelatlantischen Rücken.

Wir wissen heute, daß hier Magma aus dem Erdinneren aufsteigt und langsam die Platten der Kontinente auseinanderdrückt. Dieser Mechanismus der inneren Konvektion der Erde konnte zu Wegeners Zeit noch nicht geklärt werden, weshalb gerade die Geologenzunft die Theorie ablehnte.
Erst spätere Forschungen konnten den Mechanismus der Plattentektonik endgültig klären, was aber erst nach Wegeners Tod 1930 erfolgte.
Damit lag das Dogma der Unveränderlichkeit endlich tödlich verwundet am Boden.
Nicht einmal die Kontinente blieben über die geologischen Zeiträume hinweg an einer Stelle, ja sogar die Kontinentalplatten selbst werden in einem gewissen Zyklus wieder eingeschmolzen und einem Recycling unterzogen, wie wir heute wissen.

Nichts schien die Wissenschaften auf ihrem Siegeszug noch aufhalten zu können.

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